Wenn Otto den Papst trifft

Jede Sekunde ein Gag, jede Stunde gaga: Die Oper „Benvenuto Cellini“ in Nürnberg
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Jeans-Boy mit Einschlag von Otto Waalkes: Berlioz’ „Benvenuto Cellini“, wie ihn Jean-Francis Monvoisin im Opern-Slapstick spielte.
Olah Jeans-Boy mit Einschlag von Otto Waalkes: Berlioz’ „Benvenuto Cellini“, wie ihn Jean-Francis Monvoisin im Opern-Slapstick spielte.

NÜRNBERG - Jede Sekunde ein Gag, jede Stunde gaga: Die Oper „Benvenuto Cellini“ in Nürnberg

So ein Schlingel, dieser Künstler! Eigentlich soll er in höchstem Stellvertreter-Auftrag eine Statue schmieden, aber da sind noch der Karneval, eine verbotene Liebesaffäre und ein kleiner Mord im Vorbeigehen. Trotzdem wird am Ende die Apotheose auf den alles überstrahlenden Wert der Kunst angestimmt, ein vorweggenommenes „Verachtet mir auch diesen Meister nicht“. Nürnbergs Oper sagt: Hauptsache lustig.

Als Komponist Hector Berlioz, der die Belcanto-Artisten schmähte, aber dem aufbrechenden Musiktheater von Wagner in aller verkannten Bescheidenheit ein zumindest imaginärer Wegweiser war, die Cellini-Biografie auf die Opernbühne brachte, hat ihn das schillernde Leben des Goldschmieds sicher noch mehr gereizt als sein glänzendes Handwerk. Porträt eines Egomanen, der unbekümmert seine Schneise durchs Leben schlägt. Die Nürnberger Inszenierung der Italienerin Laura Scozzi, bedeutungsschwanger an den Beginn der Operndirektion von Intendant Peter Theiler gesetzt (ja, er hat ein Faible für vernachlässigte Werke), interessiert sich nicht die Bohne fürs Doppelgesichtige aus Poesie und Posse. Ihre illustrationswütige Slapstick-Revue – jede Sekunde ein Einfall, da gibt es keine Gnade – begräbt das Stück unterm Komposthaufen von Gebraucht-Gags.

Zunächst: Was mag der Intendant, der sich rühmt „ein Probengänger“ zu sein, dort gemacht haben? Andererseits, sehen wir’s doch positiv: Vorgänger Wulf Konold hatte seine „Großherzogin von Gerolstein“ mitten in der Amtszeit – bei Theiler hätten wir das Desaster gleich zum Auftakt hinter uns gebracht. „Ein Glück, dass Reich-Ranicki nicht da ist“, sagte ein erfahrener Opernfreund zur Pause.

Es hat wenig Sinn, die kompliziert zwischen Groteske und Drama pendelnde Geschichte zu erzählen, wenn keine einzige Figur auf der Bühne ernst genommen wurde. Da ist also der feixende Jeans-Boy aus der Otto-Waalkes-Sonderschule (Jean-Francis Monvoison singt die Titelpartie mit zwei bis drei Stimmen in mehreren Qualitätskategorien), der hingebungsvoll an den Takt-Schrittmustern der ausschließlich choreografisch, nur auf statt aus der Musik denkenden Regisseurin entlang hüpft. Ihn himmelt ein „Grease“-Girlie mit Herzchen-Bettwäsche und Leonardo-Poster – diCaprio, nicht da Vinci! – an (Hrachuhí Bassénz kann während einer schwierigen Arie Eis essen), die wiederum geplagt ist vom ebenso gestrengen wie tolpatschigen Vater in Diensten des Vatikan (Melih Teptretmez). Ein Schatzmeister poltert stolpernd nach Plan (Rainer Zaun), der Cellini-Lehrling (größter Beifall für die Hosenrolle der stimmstark aufstrahlenden Jordanka Milkova) springt ins Getümmel.

Im Bühnenbild von Barbara de Limburg stehen Marmorsockel aller Art. Auch für Fernsehgerät und Kaffeeautomat (auf dem wiederum eine Madonnenstatue der dazu passenden Arie auflauert), für Kletterpartien und Siegesposen. Im Atelier mit der Verführungs-Klappcouch lagert auch was von Niki de Saint-Phalle und manchem marktgängigen Kollegen, was aber für das eine, große Kunstwerk eingeschmolzen wird. Bis wir dort angekommen sind, vertreibt die offenbar von panischer Angst vor Langeweile geplagte Regisseurin mehr sich als uns die Zeit mit viel Travestie. Der Hauptdarsteller wird vervielfältigt mit Chor und Ballett zur Gruppengymnastik, gesäßwackelnde Herren werden beidbackig mit Fliegenpatsche bedient (Respekt, sehr rhythmisch) und wenn der wunderbar gefühlvoll auf der Kippe von Sehnsucht und Selbstbetrug komponierte Gesang vom Leben auf dem Lande ansetzt, stellt die Regie pantomimisch klar, dass auch unter diesem Dirndl bloß gejodelt wird. Und, hurra, die Musik ist schon wieder kaputt.

Überraschend tritt dann nicht Pink Panther auf, sondern der vorgesehene Papst Clemens (Guido Jentjens, munter blödelnd und singend), der die Ausgeh-Tiara gerne lupft, damit wir über die Zipfelhaube drunter lachen können.

Dirigent Guido Johannes Rumstadt schmirgelt mit dem Orchester über die Noten, nutzt jede Gelegenheit zur lautstarken Erinnerung an die Musik und fällt doch ständig zurück in den Revue-Begleitsound. Berlioz, der uns nahe gebracht werden sollte, verschwindet im schwarzen Loch des Szenen-Tumults. Am Ende ist Vernissage, der Heilige Vater grapscht nach Busen und Häppchen, Cellini macht Faxen und wir geben die Botschaft des Abends hiermit weiter: Jeder Künstler hat das Recht, ein A...loch zu sein. Was sollen die Buh-Rufe, für soviel Weisheit ist uns kein Aufwand zu teuer... Dieter Stoll

Aufführungen: 22./25.10. und 1./4./13./23.11. - Karten unter Tel. 0180-5-231600.

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