Wenn der Berg bröckelt - Das Unglück in Stein war nicht vorhersehbar
Geologen hatten das Areal beobachtet und Teile des Hanges gesichert. „Mit so einem Unglück konnten wir nicht rechnen“, sagen sie. Durch den Klimawandel wird so etwas aber öfter passieren
Ein Fels, groß wie ein Linienbus und 250 Tonnen schwer, löst sich und begräbt ein Haus. Zwei Menschen sind tot. Einhundert Jahre hat das Haus dort gestanden, nie ist was passiert, die Fachleute sind überrascht: „Mit einem Vorfall in diesem Ausmaß haben wir nicht gerechnet“, sagt Albert Göttle, Präsident des Landesamts für Umweltschutz (LfU).
Er ist Chef der Geologen im Freistaat, und seine Behörde hat das Areal um den Unglücksort seit Jahrzehnten im Blick. „Seit 1987 haben wir das Gebiet mehrmals begutachtet“, sagt der Professor, „1997 haben wir ein Gutachten für die benachbarte Brauerei erstellt und auch einige Maßnahmen vorgeschlagen.“ Lose Brocken wurden aus dem Hang gebrochen, und Teile des Hangs durch Rückerverankerungen gesichert. Am Unglückshaus selbst sahen die Experten keinen Grund zum Eingreifen: „Bei unseren Gefährdungseinschätzungen konnten wir nicht mit so einem Unglück rechnen“, sagt Göttle. Was ist dann passiert?
„Ein normaler Verwitterungsprozess“, sagt Geologe Andreas von Poschinger am Unglücksort. In den Klüften hinter dem Haus hätten sich Spannungen gebildet: Eine generelle Pflicht zur Überprüfung ähnlicher Häuser gebe es nicht. „Das hält oft Jahrhunderte.“ Unter Poschingers Leitung erstellt das LFU seit 2008 eine „Gefahrenhinweiskarte“ für den Alpenraum. Für die Kreise Miesbach und Allgäu ist die Karte, die Kommunen Hinweise für Risiken in Baugebieten geben sollen, fertig: Der Kreis Traunstein ist 2011 dran – zu spät für die Opfer von Stein.
LfU-Präsident Göttle sieht Risiken auch anderswo: „Am Isarhochufer in München ist das gleiche Gestein wie in Stein.“ Nagelfluh heißt es: Kiesel aus den Gletschern, nach den Eiszeiten mit dem Kalk des Grundwassers verbacken. Verwitterung, Wurzelkraft und Frost sprengen es auf: „Vor allem im Frühjahr und nach starken Niederschlägen.“
Eine generelle Gefahr bestehe nicht, sagt Göttle, aber „im kleineren Maßstab seien Vorkommnisse wie in Stein an der Traun auch in München vorstellbar. Und häufiger werden solche Vorfälle in Zukunft auf jeden Fall, meint der Experte.
In zwei Forschungsprogrammen untersuchen die LfU-Geologen die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gebirge, die Resultate sind beunruhigend: „Wir erleben stärkere Niederschläge“, sagt Göttle, „und gerade im Winter schnellere Wechsel von nass und trocken, kalt und warm.“ Unter diesen Umständen beschleunigen sich die Verwitterungsprozesse, Steinschlag wird häufiger: „Viele Gebiete, die heute noch als sicher gelten, sind künftig gefährdet“, sagt Göttle: „Wir erleben eine Destabilisierung des Gebirgsraums.“ Auch der internationale Klimarat IPCC rechnet „mit einem Anstieg von Hangrutschungen und Felsstürzen im Alpenraum“.
Steinschlag sei dabei eher das geringere Problem, sagt Göttle: „Vor allem Hochwasser, Schlammlawinen und Muren“ machen dem Fachmann Sorgen. „Es wird nicht besser.“
Matthias Maus
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