"Enormer Druck": Was Bayern zu den Hausbesuchen bei Tesla sagt

Kann der Chef daheim vorbeikommen, weil er dem gelben Schein nicht vertraut? Was möglich ist und was die Vertreter der bayerischen Wirtschaft dazu sagen.
von  Maximilian Neumair
Der Krankenstand des Tesla-Werks in Grünheide nähe Berlin sei seit dem Sommer überdurchschnittlich hoch gewesen, meldete Tesla.
Der Krankenstand des Tesla-Werks in Grünheide nähe Berlin sei seit dem Sommer überdurchschnittlich hoch gewesen, meldete Tesla. © Soeren Stache/dpa

Sie liegen auf der Couch – vollkommen platt. Der Hals kratzt, die Nase ist zu und die Gelenke schmerzen. Als es klingelt, kämpfen Sie sich zur Haustüre und sehen durch den Spion: Der Chef ist da! Weil er den Versuch wittert, dass Sie blau machen.

In genau dieser Situation befanden sich zuletzt Angestellte im Tesla-Werk in Grünheide bei Berlin. Die Firma stattete ihren krank gemeldeten Mitarbeitern unangekündigte Hausbesuche ab. "Wir wollen an die Arbeitsmoral der Belegschaft appellieren", sagt der Manager André Thierig. Der Krankenstand in den Sommermonaten sei überdurchschnittlich hoch gewesen.

"Nur in begründeten Einzelfällen"

Aber ist das überhaupt erlaubt? Das Bayerische Sozial- und Arbeitsministerium teilt auf Nachfrage der AZ mit: "Maßgebend sind immer die konkreten Umstände des Einzelfalls." Demnach sind reine Kontrollbesuche "nur in begründeten Einzelfällen" erlaubt. In jedem Fall müsse dem Chef jedoch weder die Tür geöffnet noch Auskünfte über den Gesundheitszustand gegeben werden. "Das ist Privatsache. Man muss ja auch nicht melden, was man hat", sagt Timo Günther von der IG Metall Bayern der AZ.

Seine Gewerkschaft hält Hausbesuche für "schlechten Stil" und eine "Grenzüberschreitung". "Es wird enormer Druck auf die Beschäftigten aufgebaut und ihnen unterstellt, sie wären nicht wirklich krank", ärgert sich Günther.

61 Prozent arbeiten trotz Krankheit

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in Bayern, Bernhard Stiedl, spricht auf Anfrage der AZ sogar von einem "Klima der Angst und des Misstrauens am Arbeitsplatz", das so erzeugt werde.

Auch Bertram Brossardt, der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), warnt im Gespräch mit der AZ vor den Folgen eines Hausbesuches: "Tatsächlich Erkrankte könnten sich genötigt fühlen, zu früh im Betrieb zu erscheinen. Sie gefährden damit ihre Genesung und die Gesundheit ihrer Kollegen."

Elon Musk will sich des hohen Krankenstands im Tesla-Werk in Grünheide annehmen.
Elon Musk will sich des hohen Krankenstands im Tesla-Werk in Grünheide annehmen. © Sebastian Gollnow/dpa

Ohnehin geschieht das schon jetzt viel zu oft: Bei einer Beschäftigungsbefragung des DGB gaben im vergangenen Jahr 61 Prozent der Befragten an, trotz Krankheit gearbeitet zu haben. Wenn Unternehmen eine hohe Krankenquote haben, ist das der IG Metall Bayern zufolge ein Zeichen dafür, dass die Belastung auf der Arbeit zu hoch ist und es zu wenig Erholung gibt.

Führungskräfte nicht dazu ausgebildet

Die Krankheit überprüfen zu wollen, hat laut Verdi Bayern sowieso einen fraglichen Nutzen: "Denn die meisten Führungskräfte sind medizinisch nicht dafür ausgebildet, den Gesundheitszustand ihrer Beschäftigten zu beurteilen."

Das sieht auch Frauke Kamp so, Expertin für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht bei der IHK für München und Oberbayern: "Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Krankheit bedeutet nicht zwingend Bettlägerigkeit oder die Unfähigkeit, die Wohnung zu verlassen", sagt sie der AZ.

Dass Unternehmen bei Verdachtsfällen die Echtheit einer Krankmeldung sicherstellen wollen, kann die IHK-Expertin nachvollziehen. Aber es sei zu beachten, dass der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) zunächst einmal ein hoher Beweiswert zukomme.

In bayerischen Unternehmen nicht üblich

Es braucht demnach für eine Anzweiflung "erhebliche Anhaltspunkte", etwa Partyfotos auf Social Media oder die vorherige Ankündigung einer Erkrankung gegenüber Kollegen. Wenn sowas vorliegt, könne der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung zunächst zurückhalten. Außerdem bestehe die Möglichkeit, den medizinischen Dienst der Krankenkasse einzuschalten, um die AUB zu überprüfen.

Dass die Krankenchecks via Hausbesuch zum Trend werden, müssen Arbeitnehmer jedoch nicht befürchten. Vbw-Chef Brossardt kann beruhigen: "Hausbesuche durch Führungskräfte sind in bayerischen Unternehmen nicht üblich."

Das unterstreicht auch Günther von der IG Metall Bayern: "Das, was bei Tesla passiert, ist eine Riesen-Ausnahme. Aus größeren Betrieben, in denen wir als IG Metall organisiert sind und wo es Betriebsräte gibt, habe ich das noch nicht gehört." Auch Verdi und DGB sind solche Fälle in Bayern nicht bekannt.

Und falls doch einmal der Chef zur Kontrolle nach Hause kommt, rät die IG Metall: nicht als Einzelperson dagegen vorgehen, sondern den Betriebsrat einschalten.

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