Wann bin ich nur traurig – und wann schon krank?

Volkskrankheit Depression: Jährlich nehmen sich in Nürnberg bis zu 90 Betroffene das Leben. Bundesweit sind es mehr Tote als im Straßenverkehr
NÜRNBERG Wie weit einen eine Depression treiben kann, zeigte das tragische Beispiel von Robert Enke (32). Jahrelang hatte der Torhüter seine Krankheit vor der Öffentlichkeit versteckt. Tief drinnen aber war er gefangen in einem Tunnel und litt im Stillen. Irgendwann sah er keinen anderen Ausweg mehr: Am 10. November letzten Jahres warf sich Enke völlig unerwartet vor einen Zug.
Nicht nur Fußball-Deutschland war geschockt und erschüttert. Die Frage, die sich viele stellten: Wieso gerade er, der doch alles zu haben schien, was man zum Glück braucht? Karriere, Geld, Anerkennung – und vor allem eine liebende Frau und eine kleine Tochter. Doch das Beispiel Enke zeigt die wahre Natur dieser Erkrankung: Sie kann jeden treffen! Und zwar plötzlich, „aus heiterem Himmel, als wäre von heute auf morgen ein Schalter umgelegt worden“, erklärt Dr. Günter Niklewski, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Nord.
„Angesichts von etwa vier Millionen Betroffenen und einer sehr hohen Dunkelziffer, kann man mittlerweile von einer Volkskrankheit sprechen“, so Dr. Niklewski weiter. Eine Volkskrankheit, die immer noch ein Tabu ist, wie der Fall Robert Enke zeigt. Er schwieg über sein Leiden, aus Angst, seinen Job zu gefährden, Erwartungen zu enttäuschen. Bis er nicht mehr konnte.
In Deutschland sterben mehr Menschen an den Auswirkungen einer Depression (rund 10.000) als bei Verkehrsunfällen (rund 4000)! Allein in Nürnberg nehmen sich jährlich zwischen 80 und 90 Depressive das Leben. Keine andere Krankheit beeinträchtigt so stark die Lebensqualität wie eine Depression, fand die Weltgesundheitsorganisation (WHO) heraus.
Depression hat nichts mit gelegentlichem Schlechtdraufsein zu tun. Dr. Niklewski: „Jeder Mensch braucht schlechte Phasen, um die guten erleben zu können.“ Der Unterschied ist: Die Betroffenen sind innerlich richtig abgestumpft. Sie können nicht mehr lachen und nicht mehr weinen. Das Interesse an allem verschwindet – selbst an den liebsten Menschen in der Umgebung oder an erfüllenden Hobbys.
Weitere Symptome:
Niedergeschlagenheit, die sich im ganzen Körper bemerkbar machen. Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Abmagerung, Sex-Unlust, die Gedanken kreisen um die immer gleichen Probleme: Versagensängste, Schuldgefühle, Selbstzweifel, Hoffnungslosigkeit.
Was sind die Ursachen?
Eine Depression hat selten eine einzige Ursache. Rein körperlich gesehen fehlen im Gehirn bestimmte Botenstoffe (u. a. Serotonin), die für die Stimmung verantwortlich sind. Bei etwa zwei Drittel der Erkrankten ist der Auslöser ein belastendes Erlebnis.
Was sind die Auslöser?
Starke Überforderung, Probleme am Arbeitsplatz, schlimme, einschneidende Erlebnisse wie Trennungen oder Todesfälle. „Ob ein Mensch auf Erlebnisse sensibel oder robust reagiert, ist außerdem eine Typfrage und abhängig davon, welche Erfahrungen er im Leben gemacht hat“, so Dr. Niklewski.
Wann zum Arzt?
Wenn die Anzeichen länger als drei Wochen andauern. Dr. Niklewski: „In Nürnberg kann man sich vertrauensvoll an einen Allgemeinarzt wenden. Die sind hier mittlerweile bestens geschult. Wichtig ist, dann nicht nur körperliche Beschwerden, sondern die ganze Geschichte zu erzählen.“
Wie vorbeugen?
Über Probleme sprechen ist das Wichtigste! Außerdem sollte man sorgsam mit sich umgehen und auf die eigenen Warnsignale hören. „Jedes Erschöpftsein ist ein Selbstschutzmechanismus“, erklärt Dr. Niklewski. „Stress zu haben, mal an die eigenen Grenzen zu gehen, ist nicht das Problem, so lange wir es nicht überspannen. Wahre Ruhe können viele Menschen aber gar nicht mehr ertragen.“ Präventiv könne schon wirken, dreimal die Woche joggen zu gehen. Suchtstoffe wie Alkohol können Depressionen fördern.
Wie behandeln?
Eine Depression geht vorbei, versichert Dr. Günter Niklewski, wenn man sich richtig behandeln lässt. Antidepressiva helfen, „die gestörte innere Uhr wieder richtig einzustellen“. Sie gleichen den Botenstoffmangel im Gehirn aus. Das zweite Bein, auf dem eine erfolgreiche Therapie steht, ist die fachliche psychotherapeutische Betreuung und Beratung. Dr. Niklewski: „Viele haben Angst vor den Medikamenten.“ Die machen entgegen einer weit verbreiteten Meinung aber weder süchtig, noch verändern sie die Persönlichkeit. Dr. Niklewski: „Die Depression ist es, die die Persönlichkeit verändert.“
Marlina Pfefferer