Waltraud Mayer fuhr einst Rettungswagen: "Es lohnt sich, für seine Träume zu kämpfen"
München - AZ-Interview mit Waltraud Mayer: Die gebürtige Österreicherin lebt in Lindau am Bodensee. Dort war sie über 30 Jahre als Fahrerin im Rettungsdienst tätig - an diesem Wochenende wurde sie 78.
AZ: Frau Mayer, schauen Sie gerne Arztserien?
WALTRAUD MAYER: Ja, schon, weil das ja mein Milieu damals war. Noch lieber schaue ich eine Sat1-Sendung über Rettungskräfte, da fühle ich richtig mit, weil das genau mein Ding war.
Im Jahr 1969 sind Sie der Frauenbereitschaft beim Roten Kreuz in Lindau beigetreten. Was war das denn?
Die Frauenbereitschaft war damals ein Betreuungsdienst. Wenn ein Fest war, musste man kochen oder aufräumen oder begleiten; aber nichts mit Rettungsdienst.
"Frauen hatten keinen Platz in Männerberufen"
Und dorthin hätten Sie damals auch gar nicht gehen können, oder?
Nein! Männer und Frauen waren total getrennt. Wir hatten manchmal gemeinsam Unterricht, aber sonst nichts. Männer durften keine Frauen aufnehmen damals, überall, egal ob bei der Feuerwehr oder der Polizei: Frauen waren extra und haben im Männerberuf nichts zu suchen gehabt.
Sie schreiben in Ihrem Buch "Eine muss die Erste sein", viele der Tätigkeiten haben Ihnen aber gar nicht gefallen, weil es das gleiche wie zu Hause war: Backen, Kochen, Spülen. Wie haben Sie es dann geschafft, zum Rettungsdienst zu wechseln?
Ich wurde manchmal schon gefragt, ob ich als Betreuungsperson bei Fernfahrten mit dem Krankentransportwagen mitfahren könnte. Und daher hab ich damals schon damit geliebäugelt und gedacht, das ist meins. Dann habe ich den Wachleiter gefragt, weil mir das andere nicht so zugesagt hat.
"Die Frauen um mich herum waren ziemlich sauer"
Und was hat er erwidert?
Er hat die Satzung vom Roten Kreuz durchgelesen und zu mir gesagt: "Wenn du ganz schnell kündigst bei den Frauen, nehmen wir dich gleich auf." Aber ich dürfe niemandem was sagen, damit es keine großen Wellen schlägt. Und ich war so glücklich.
Arbeiten Sie gerne unter Druck - oder war der große Rettungswagen der Grund? Sie sind ja vorher schon Taxi gefahren.
Ja, es hatte schon viel mit dem Autofahren zu tun und ich habe schon immer gerne anderen Leuten geholfen, schon als Jugendliche.

Wie haben die anderen Frauen denn auf Ihren Wechsel reagiert?
Die waren sehr sauer. Die haben mir jeden Stein in den Weg gelegt, den sie gefunden haben. Ich habe mich davon aber nicht beeindrucken lassen. Hintenrum wurde dann erzählt, ich sei nur wegen der Männer zu den Männern. Aber das stimmt nicht, ich hatte ja meinen Mann (lacht).
Auch heute noch heißt es oft, Frauen stünden sich gegenseitig im Weg, unterstützen sich nicht genug.
Ja, bei mir war das auch so, der ganze Widerstand kam nur von den Frauen. Da kamen wirklich böse Blicke, ja.
"Ich habe mir bei der Arbeit nie helfen lassen"
Sie waren über 30 Jahre lang Fahrerin im Unfallrettungsdienst und Krankentransport. Was hat sich innerhalb der Zeit alles verändert?
Sehr viel. Bei uns war das noch richtige Knochenarbeit. Wir mussten die Tragen noch selber aus dem Wagen rauslupfen und auf so einen Behelfswagen hieven, das geht heute viel lockerer. Es ging nichts automatisch damals. Aber ich habe es immer geschafft und habe mir auch nie helfen lassen.
Sie schreiben, es war "ein Beruf der Extreme", mit viel Licht und viel Schatten. Abgesehen von den körperlichen Herausforderungen - wie haben Sie es geschafft, beispielsweise Todesfälle nicht zu sehr an sich ranzulassen?
Ich habe darüber nicht mit meinen Kindern, nur mit meinem Mann gesprochen, der auch ehrenamtlich im Rettungsdienst war. Aber sonst habe ich sowas nicht mit nach Hause genommen, sondern unter den Kameraden besprochen. Was hätte man besser machen können, hätte man etwas anders machen müssen? Das hat viel geholfen.

Heute gibt es immer mehr Respektlosigkeit gegenüber Rettungskräften, sie werden beschimpft, bei ihrer Arbeit behindert. Haben Sie das auch erlebt?
Selten, aber wenn, dann bei betrunkenen Frauen. Das war kritisch, da bin ich nicht dagegen angekommen. Da habe ich die Männer vorgeschickt.
Auch heute engagiert sie sich noch ehrenamtlich
Was war Ihr schönstes Erlebnis im Rettungsdienst?
Da hat ein Kollege damals zu mir gesagt, er hätte am Sonntag was Besonderes vor - total ehrenamtlich. Ich habe gesagt, du weißt, das ist mir nicht wichtig, um was geht es? Er hatte zugesagt, dass er eine noch gar nicht so alte Frau mit Krebs im Endstadium zu Hause abholt und zu ihren Eltern bringt, dort wollte sie noch einmal ihren Geburtstag feiern. Selbstverständlich habe ich das gemacht! Wir haben sie hingebracht und zwei Stunden später abgeholt - und sie war so glücklich, dass sie den Tag noch bei ihren Eltern verbringen konnte. Ein paar Tage später ist sie dann gestorben.
Sie haben drei Kinder, eine Tochter hat Ihnen beim Aufschreiben Ihrer Memoiren geholfen, und Enkelkinder. Was raten Sie jungen Frauen, die in einer Männerdomäne Fuß fassen wollen?
Sie sollen dranbleiben. Es lohnt sich zu kämpfen. Man soll nie seinen Traum verlieren. Wenn jemand das machen möchte, soll er beziehungsweise sie das machen.
Vermissen Sie jetzt die Arbeit?
Nein, alles hat seine Zeit. Ich betreue aber immer noch Senioren und Seniorinnen ehrenamtlich fürs Rote Kreuz.
Waltraud Mayer mit Doris Mayer-Frohn: "Eine muss die Erste sein - Wie ich zur Pionierin im deutschen Rettungsdienst wurde" (16,95 Euro) ist bei Eden Books erschienen.
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