Wagners Not-Fall für Ursula von der Leyen
BAYREUTH - „Walküre“ in Bayreuth: Christian Thielemann setzt seinen Höhenflug fort.
Bunt wie das babylonische Sprachgewirr im Publikum erscheint der Saal des Bayreuther Festspielhauses in den Pausen der „Walküre“: Kissen in allen Farben und Mustern liegen auf den harten Holzsitzen, während ihre Eigentümer auf dem Grünen Hügel lustwandeln. Unter ihnen „Ring“-Regisseur Tankred Dorst, der von einem Bekannten aufgeklärt wird, dass der Siegmund in diesem Jahr besser gesungen habe.
Besser ist allerdings nicht gut genug. Endrik Wottrich klingt zwar kraftvoller, auch klarer. Aber er findet keinen Ausdruck, kein Gefühl für seinen liebenden Helden, der zudem plump durch Hundings baufällige Halle mit hereingestürztem Strommast stapft.
Spagat zwischen Gefühlshochdruck und Motivspurensuche
Eva-Maria Westbroeks Sieglinde muss ziemlich verblendet sein. Sie liebt prächtig und schwelgerisch in den Höchstlagen, empfindsam und textverständlich im Piano. Wenn sie Brünnhilde im dritten Akt um Mutterschutz anfleht, möchte man sofort Ursula von der Leyen alarmieren. Wenig später schleudert Linda Watsons Walküre ihre Seelenpein fulminant Vater Wotan entgegen. Albert Dohmen hat sich im Vergleich zum „Rheingold“ ebenso deutlich gesteigert wie Michelle Breedt, die als Fricka in schillernden Nuancen keift und zankt.
Die musikalische Magie dieses Bayreuther „Rings“ also bleibt ungebrochen, auch weil Christian Thielemann der Spagat zwischen Gefühlshochdruck und Motivspurensuche gelingt. Ob hitverdächtiges Hojotoho oder Nothung-Fanfaren — alles bleibt Teil des Musik-Geflechts. Dem hat Dorsts Inszenierung wenig entgegenzusetzen: Wenn die Walküren wie lebensmüde Hummeln über die Bühne taumeln, kann man nur noch die Augen schließen.
Georg Kasch