Wagnerianer und Touristen: Eine Publikums-Typologie
Bayreuth – Die Bayreuther Festspiele sind das bekannteste Klassikfestival Deutschlands. Die Ticketvergabe war bislang ein Mythos - Opernfans mussten oft jahrelange Wartezeiten in Kauf nehmen, bis sie das berühmte Festspielhaus betreten durften, um auf unbequemen Holzsitzen Platz zu nehmen und um eines von zehn Hauptwerken Richard Wagners zu hören.
Inzwischen ist das ein wenig anders - das Internet macht's möglich, auch spontan an eines der jährlich 60 000 verkauften Tickets zu kommen. Und so schaut das Bayreuther Publikum aus:
Der Wagnerianer
Er kommt schon seit Jahrzehnten nach Bayreuth, steigt immer im selben Hotel ab, geht nach den Vorstellungen immer im selben Lokal essen. Tradition wird großgeschrieben. Man trifft Gleichgesinnte und lästert mit ihnen über das Regietheater. Geld spielt nicht wirklich eine Rolle, die teure Pausenbratwurst muss sein. Der Wagnerianer ist immer vornehm gekleidet, wenn er das Festspielhaus betritt. Wer es etwas lockerer nimmt mit der Kleiderordnung, den strafen sie mit missbilligenden Blicken.
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Der Extrem-Wagnerianer
Das Drumherum ist ihm herzlich egal - also Anzüge, Hotels, Essen, Klatsch und Tratsch. Ihm geht es um die Sache. Also um die Kunst. Er hat Partituren dabei oder zumindest das Reclam-Textheft, um es in der Pause zu studieren, obwohl er es eh auswendig kann. Bei diversen Rahmenveranstaltungen wie Lesungen oder Vorträgen verwickelt er die Verantwortlichen in Fachgespräche.
Die Reichen und Schönen
Man ist sich nicht ganz sicher, ob all die Menschen, die bei der Festspieleröffnung über den roten Teppich schreiten, wirklich wegen Richard Wagners Oper hier sind oder zumindest wegen Christian Thielemanns Dirigat. Oder wollen sie nur ihre leuchtenden ausladenden Roben den Fotografen und Kameraleuten zeigen? Das ist natürlich nur ein Verdacht. Dass es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) um die Sache, also um die Oper, geht, weiß dagegen jeder. Sie und ihr Mann mögen Wagners Werk. Aber auch Tage nach der Eröffnungspremiere tummeln sich noch etliche Menschen an der Champagnerbar, denen es vor allem wichtig ist, ihre Abendrobe und ihren Schmuck zu präsentieren. Die Oper zwischen den Pausen nimmt man billigend in Kauf.
Die Neuen
Die Hügel-Gebräuche sind ihnen noch fremd. Wenn kurz vor dem Start der Aufzüge Fanfaren ertönen, sind sie ebenso erstaunt wie über die Preise in der Pausen-Gastronomie. Ihr Outfit schwankt zwischen super-elegant (eigens gekauft!) und praktischem Hosenanzug (was für die Erstkommunionfeier der Tochter passt, taugt auch für den Grünen Hügel). Für die Karten haben sie halt mal im Internet geschaut - und tatsächlich Glück gehabt. Die Neuen zeichnen sich durch eine angenehme Neugierde aus. Die Musik überwältigt sie meist. Und dem Regietheater stehen sie gar nicht einmal ablehnend gegenüber: Ist schon aufregend, dieser farbenfrohe "Ring"! Sind ja auch irgendwie niedlich, die Ratten im "Lohengrin"! Und Klaus Florian Vogt als Lohengrin, der ist sowieso eine Augen- und Ohrenweide!
Die Jungen
Dass Oper nur etwas für das ältere Semester ist, stimmt natürlich nicht. Wobei man freilich nicht weiß, ob die jüngeren Wagner-Zuschauer aus wahrer Begeisterung hier sind, oder weil der Papa die Karten organisiert hat und die Sprösslinge gerne in die "Gesellschaft" einführen möchte. Wie dem auch sei: Die Robe vom Abschlussball kann man so noch einmal ausführen und sich dabei richtig erwachsen fühlen.
Die Touristen
Der Anteil der ausländischen Gäste ist laut einem Festspielsprecher durch den Online-Ticketverkauf gestiegen. Und für die ist Oper in Bayreuth dann wie Urlaub. Das heißt: Rund um das Festspielhaus wird ausführlich fotografiert. Im Shop werden Postkarten, Bücher und sonstige Souvenirs gekauft. Und wenn gerade keine Oper ist? Die 70 000-Einwohner-Stadt Bayreuth ist zugegebenermaßen keine pulsierende Metropole. Gegen Langeweile hilft aber vielleicht ein Besuch im neuen Richard-Wagner-Museum: Das war fünf Jahre geschlossen und ist nun wieder offen.