Pflegeroboter im Altenheim: in Garmisch wird schon ihr Einsatz geprobt
München - Dunkle Kameraaugen, definierter Brustkorb, lange, gelenkige Arme. Mit ein bisschen Fantasie schaut er nicht unmenschlich aus. Und Rollin' Justin hat sogar "Gefühl". Darauf sind seine Entwickler vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) besonders stolz: Der Pflegeroboter reagiert "nachgiebig", er passt seine Kräfte dank künstlicher Intelligenz an. Denn er soll den Menschen, denen er in gar nicht mehr ferner Zukunft helfen soll, nicht wehtun – oder ihnen gar gefährlich werden.
Rollin' Justin ist ein humanoider Heimassistenzroboter. Am Montag wurde er zusammen mit zwei weiteren Pflegerobotern namens Edan und Hug im Kongresshaus in Garmisch-Partenkirchen vorgestellt. Ursprünglich für die Raumfahrt entwickelt, sollen die Maschinen nun auch auf Erden nützlich sein und Menschen in Pflegeheimen und zu Hause unterstützen.
Wirtschaftsminister: Roboter sollen keine Pflegekräfte ersetzen
Noch vor Jahresende wird Justin testweise ins Caritas-Altenheim St. Vinzenz in Garmisch-Partenkirchen einziehen, um dort mit Pflegern zu arbeiten. "Die Roboter sollen keine Pflegekräfte ersetzen", sagte Bayerns Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer (CSU), sondern: "Sie sollen entlasten und assistieren."
Am Montag demonstrierte der Wissenschaftler Daniel Leidner, was Justin kann. Per Tablet dirigierte der Ingenieur von Garmisch aus den Roboter im rund 90 Kilometer entfernten Oberpfaffenhofen: Justin rollte zu einer Schublade, nahm Arznei heraus, stellte sie ab, schloss die Schublade wieder und brachte die Schachtel zu einem Wissenschaftler, der an einem Tisch saß.
Eine Schublade öffnen und etwas herausholen, schafft Justin spielend.
Künftig soll Justin auch Türen öffnen und Knöpfe drücken. Den Staub auf dem Fußboden zusammenkehren kann er schon. Und in nicht all zu ferner Zukunft soll Justin auch sofort Alarm schlagen, wenn ein ihm anvertrauter Senior stürzt. Im nächsten Entwicklungsschritt könnte der rollende Pflegeroboter in St. Vinzenz oder anderswo älteren Menschen, auch physisch eine Stütze sein. Er könnte sie zum Beispiel beim Gang zur Kapelle begleiten. Nach dem Motto: Eingehakt und losgerollt.
Wenn Justin eines Tages solch eine Aufgabe tatsächlich allein und zuverlässig bewältigen kann, hätte der Mensch, der an seiner Stelle mitgegangen wäre, etwa 30 Minuten Zeit gespart. Diese könnte die Pflegekraft dann anders nutzen.
Nun wird getestet, wie Senioren auf die Maschinen reagieren
In Deutschland sind drei Millionen Menschen auf ambulante oder stationäre Pflege angewiesen. Bis 2030 werden es wohl doppelt so viele sein. Bereits heute herrscht großer Mangel an Pflegekräften. "Die Pflege braucht neue Impulse", sagt Georg Falterbaum, Caritasdirektor in der Erzdiözese München und Freising.
Garmisch kann heute schon vor Augen führen, was der Rest der Republik noch vor sich hat: "In Garmisch leben besonders viele Senioren. Wir sind so alt wie Deutschland in 20 Jahren", sagt Bürgermeisterin Sigrid Meierhofer (SPD).
Für das Pflegeroboter-Projekt "Smile" hat der Freistaat sechs Millionen Euro Fördergeld zugesagt. "Wir wollen, dass Bayern in der wichtigen Zukunftsbranche der Roboterassistenzsysteme eine Vorreiterrolle einnimmt", sagte Pschierer.
Zudem sollen zehn Millionen Euro aus einer gemeinnützigen Gesellschaft fließen. Das Ehepaar Leifheit hatte seinen Lebensabend in Garmisch und Lugano verbracht und der Marktgemeinde 57 Millionen Euro vermacht. Das Geld, das in eine Stiftung geflossen ist, soll nun Senioren und Pflegebedürftigen zugutekommen.
Außer den Pflegerobotern Justin, Edan und Hug, könnte bald noch ein weiterer am Fuße der Zugspitze an den Start gehen. Sami Haddadin, der Gewinner des Deutschen Zukunftspreises 2017, hat den Pflegeroboter Garmi mitentwickelt. Dieser soll in Musterwohnungen für ein Geriatronik-Zentrum eingesetzt werden.
Wie die Zielgruppe auf die maschinellen Helferlein reagiert, wird sich zeigen, wenn Justin und Co. in wenigen Monaten in St. Vinzenz anrollen. Die Wissenschaftler und Mitarbeiter der Caritas haben die Senioren schon vorbereitet. Alin Albu-Schäffer, Direktor des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik: "Viele sind aufgeschlossen, manche skeptisch. Aber wenn die Leute verstehen, dass sie damit ihre Selbstständigkeit verlängern, ist die Offenheit sehr groß."
Die Pflegeroboter in der Übersicht
Rollin' Justin - Der Selbstständige
Der Roboter Rollin' Justin ist mit künstlicher Intelligenz ausgestattet. Fotos: Deusches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Der humanoide (von lat. homo "Mensch" und griech. eidos "Gestalt") Roboter Rollin’ Justin kann Menschen ein selbstbestimmteres Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen. Er soll ältere Menschen unterstützen, die nicht mehr so mobil sind.
Der Heimassistenzroboter kann einfache Aufgaben selbstständig erledigen – zum Beispiel eine Brille suchen.
Der rollende Justin hat zwei Arme und ist mit Bewegungsdetektionssensoren und Stereokameras ausgestattet. Das ermöglicht ihm, seine Umgebung in 3D zu erfassen. "Die nachgiebigen Leichtbauarme erlauben ihm eine feinfühlige Interaktion mit seiner Umwelt", heißt es in einer Broschüre vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Edan - Der feinfühlige Arm
Ein Rollstuhl mit Maschinenarm: Der Pflegeroboter Edan.
Er deckt das Bett auf, gießt ein Getränk in einen Becher und reicht ihn zum Trinken: Edan heißt der Roboter-Butler mit der helfenden Hand, der künftig Pflegebedürftigen zur Seite stehen könnte. Edan besteht aus einem Rollstuhl, an dem ein Maschinenarm befestigt ist. Über Sensoren, die auf dem Arm des Menschen angebracht sind, kann der behinderte Mensch den Roboter über Muskelimpulse steuern.
Edan kann Aufzugknöpfe drücken oder die Bettdecke zurechtrücken. "Menschen, denen nachts die Decke verrutscht, überlegen sehr lange, ob sie deshalb den Pfleger holen sollen", sagt Alin Albu-Schäffer, Direktor des DLR, dem Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland. "Das sind Dinge, an die man als gesunder Mensch gar nicht denkt – und bei denen so ein System die Unabhängigkeit der Menschen erhöht."
Auch trinken zu können, ohne extra Hilfe holen zu müssen, gehört dazu.
Hug - Der Steuermann aus der Ferne
Roboter Hug könnte auch bei Reha- oder Trainingseinheiten eingesetzt werden.
Der Roboter Hug ist ein sogenanntes Kraftrückkopplungsgerät. In ihm sitzt ein Experte, der per Teleoperation Menschen unterstützt, die sich irgendwo weit weg befinden und entweder in einem Edan-Stuhl sitzen oder aber Unterstützung durch den Pflegeroboter Justin brauchen.
Die Eingabestation Hug hilft quasi per Fernsteuerung, um ins Geschehen einzugreifen. In der haptischen Station könnte künftig ein Pflegeassistent sitzen. Mit seinen beiden Leichtbauroboterarmen misst Hug die Bewegungen des Menschen und Kräfte aus der entfernten oder virtuellen Umgebung.
Hug eignet sich aber auch für Interaktionen in der virtuellen Realität, für Anwendungen während der Reha oder für Trainingseinheiten mit Pflegebedürftigen.