Volksbegehren für bessere Pflege nimmt erste Hürde

Über 100.000 Menschen setzen sich für eine bessere Pflege in Kliniken ein. Jetzt wurden die Unterschriften ans Ministerium übergeben.
von  Julia Sextl
Sind stolz auf viele Unterschriften: Natascha Kohnen (SPD), Harald Weinberg und Ates Gürpinars (beide Linke) sowie Katharina Schulze (Grüne, alle Mitte), gemeinsam mit weiteren Bündnispartnern, Unterstützern und dem bayerischen Löwen am Innenministerium.
Sind stolz auf viele Unterschriften: Natascha Kohnen (SPD), Harald Weinberg und Ates Gürpinars (beide Linke) sowie Katharina Schulze (Grüne, alle Mitte), gemeinsam mit weiteren Bündnispartnern, Unterstützern und dem bayerischen Löwen am Innenministerium. © Bettina Rödig

Die erste Hürde ist genommen: 25.000 Stimmen waren nötig, um das Volksbegehren "Stoppt den Pflegenotstand an Bayerns Krankenhäusern" beim Innenministerium zu beantragen. Mehr als vier Mal so viel, genau 102.137 Unterschriften, haben die Initiatoren und Unterstützer des Bündnisses seit 4. August gesammelt und gestern der Behörde übergeben.

"Unser Ziel war, bis heute 40.000 Unterschriften zu haben. Mit 100.000 Stimmen im Rücken stehen wir natürlich ganz anders da. Wir können zuversichtlich sein, dass wir auch die zweite Stufe packen, wenn es drauf ankommt", sagte der Linken-Bundestagsabgeordnete und Mitinitiator Harald Weinberg kurz vor der Übergabe am Odeonsplatz.

Volksbegehren gegen den Pflegenotstand

Das von der Linken ins Leben gerufene Bündnis aus Politikern verschiedener Parteien, Pflegern, Juristen und Ärzten will per Volksbegehren gegen den Pflegenotstand an Bayerns Krankenhäusern vorgehen und die Anzahl der Krankenschwestern und -pfleger erhöhen – noch über die Planungen des Bundes hinaus (AZ berichtete).

Krankenschwestern und -pfleger klagten seit Jahren über eine zunehmende Überlastung in ihrem Beruf, so die Begründung. Eine von ihnen ist Bettina Rödig. Die 26-Jährige ist Krankenschwester am Klinikum Schwabing, im Betriebsrat der Städtischen Kliniken und im Vorstand der Verdi-Jugend Bayern – und schilderte gestern drastische Situationen.

"Ich kann mich nur bei jedem bedanken, der das Volksbegehren unterschrieben hat", so Rödig. "Ich weiß nicht, wie viele tatsächlich wissen, wie es ist, wenn man im Krankenhaus sterbende Menschen, die ängstlich sind und total verzweifelt, alleine lassen muss, weil noch zehn weitere Patienten auf ihre Versorgung warten. Wie es ist, wenn man in einem Altenheim alte Menschen über Stunden in ihren Exkrementen liegen lassen muss, weil es anderen gerade noch schlechter geht und sonst niemand da ist, um sich zu kümmern. Oder wie es ist, wenn man ein krankes Kind, das alleine im Krankenhaus liegt, ständig enttäuschen muss, weil man nicht mal die Zeit für eine kleine Aufmunterung oder fünf Minuten für ein Gespräch hat."

Pflege braucht dringend mehr Personal

Das Bündnis mahnt zudem die Ausbildungssituation in Deutschland an. Ohne verbesserte Arbeitsbedingungen – sprich: mehr Personal – werde der Fachkräftemangel immer drastischer werden. "Alle sagen, wir brauchen mehr Auszubildende. Aber genau da liegt der Knackpunkt", so Rödig.

"Wir Pflegekräfte rennen tagtäglich unter einem unfassbaren Zeitdruck von Patient zu Patientin, von einem Pflegefall zum nächsten. Wir haben oft nicht mal Zeit, selber auf die Toilette zu gehen oder zu essen. Da kann sich jeder ausrechnen, dass für die Ausbildung und Anleitung von Azubis nur wenig Zeit ist."

Viele Azubis geben auf

Die Folge: Nicht nur die Pflegequalität nehme immer weiter ab, viele Auszubildende gäben zudem schon vor dem Examen auf, suchten sich danach einen anderen Beruf oder studierten. "Und das, weil wir nicht einmal die Zeit haben, den Nachwuchs vernünftig auszubilden", so Rödig. Dabei geht die im Bündnis ebenfalls engagierte Gewerkschaft Verdi schon jetzt von rund 12.000 fehlenden Pflegestellen allein in Bayern aus.

Nun ist das Innenministerium am Zug und muss entscheiden, ob das Volksbegehren zugelassen wird. Im nächsten Schritt könnte das Bündnis einen Gesetzentwurf in den Landtag einbringen und – falls dieser nicht angenommen würde – darüber einen Volksentscheid herbeiführen.

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