Vier Polizisten überwachen 40 gefährliche Sex-Täter!

Rückfall verhindern: Nach dem Gefängnis können die Männer dank „Heads“ besser überwacht werden
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Wohl das Schlimmste, was man einem Kind antun kann: sexualler Missbrauch.
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Kümmert sich um strafentlassene Sex-Täter: Kriminalhauptkommissar Johann Kerl.
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Rückfall verhindern: Nach dem Gefängnis können die Männer dank „Heads“ besser überwacht werden

NÜRNBERG Nennen wir ihn Jens Schumann. Er könnte 47 Jahre alt sein. Er wird heute aus dem Gefängnis entlassen. Sechs Jahre saß er ein, weil er Julia (7), die Tochter von Freunden, vergewaltigt hat. Jens Schumann musste seine Strafe voll verbüßen. Ein Gutachter kam zu dem Schluss, dass bei ihm eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe oder eine Haftverkürzung ausgeschlossen werden muss. Mit dem heutigen Tag ist der Mann, der eines der schlimmsten Verbrechen begangen hat, wieder ein unbeschriebenes Blatt. Er hat seine Strafe verbüßt. Er ist ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Und niemand kontrolliert ihn. Niemand kann überwachen, ob er wieder Kontakt zu Julia sucht. Ob er sich vor Kindergärten herumdrückt. Ob Jens Schumann eine Zeitbombe ist. Dieser unbefriedigende Zustand galt bis 2006. Dann kam „Heads“: Dank der „Haft Entlassenen Auskunftsdatei Sexualstraftäter“ können Männer wie Jens Schumann kontrolliert werden.

In Nürnberg gibt es 40 solcher Männer wie ihn, die die Justiz unter die so genannte Führungsaufsicht gestellt hat! Das bedeutet, dass diese Männer ihre neue Freiheit dank unterschiedlichster „Weisungen“ nur eingeschränkt genießen können: Sie haben Kontaktverbote zu ihren früheren Opfern. Sie dürfen sich nicht in der Nähe von Kindergärten, Schulen oder Schwimmbädern aufhalten, keine Auszubildenden beschäftigen, teilweise auch ganze Ortschaften nicht aufsuchen. Verstößt der Mann dagegen, macht er sich strafbar – eine Neuigkeit im Strafgesetz. Bislang war das Kontaktverbot nicht unter Strafe gestellt. Damit sich die Männer daran halten, wurde mit „Heads“ ein engmaschiges Netz geknüpft, bestehend aus der Bewährungshilfe, der Justiz, der Führungsaufsichtsstelle und der Polizei.

Es gibt vier Polizisten in Nürnberg, die sich um die 40 Männer kümmern und Präventionsarbeit leisten, damit die verurteilten Sexualstraftäter möglichst keine neuen Straftaten begehen. Einer davon ist Johann Kerl (51), Kriminalhauptkommissar. Er arbeitet im K 13, das Kommissariat ist für Sexualdelikte zuständig. Oft schon vor der Entlassung sucht Kerl das erste Gespräch. Das Ziel der Polizei: einen regelmäßigen Kontakt aufzubauen. Johann Kerl: „Ich rede Tacheles mit ihnen. So wissen sie, dass wir ein Auge auf sie werfen. Die meisten sind froh, dass es diese Kontrolle gibt.“ Gefährder-Ansprache heißt das im Beamtendeutsch. Gefährdeten-Ansprache heißt es, wenn Kerl es für notwendig sehen sollte, das frühere Opfer zu informieren. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt: Es geht um Sexualstraftäter, deren Rückfallrisiko als erhöht eingestuft wird. Dennoch hat er seine Strafe verbüßt. Eine ständige Polizeipräsenz im Alltag der Probanden kann zur Stigmatisierung führen. Beim Probanden kann sich der Eindruck einstellen, er habe ohnehin keine Chance auf einen Neuanfang.

„Heads“ ist eine Länderangelegenheit. In Sachsen-Anhalt und Berlin gab es Fälle, in denen entlassene Sexualstraftäter rund um die Uhr bewacht wurden. In Nürnberg gibt es keinen derartigen Fall. „In Extremfällen gibt es diese Möglichkeit aber“, so Oberstaatsanwältin Petra Strohbach, die die Führungsaufsicht zusammen mit der Führungsaufsichtsstelle und dem Gericht bestimmt.

Dennoch sind es keine kleinen Fische, die Kerl und seine Kollegen beobachten. Handelt es sich eventuell um einen Pädophilen, so kann Kerl, „Wege zur Hilfe zeigen, wenn die merken, dass da wieder etwas hochkommt“. Da hilft die Vernetzung in „Heads“, dass ein Therapeut vielleicht schneller zur Hand ist.

Von seinen Probanden, so erzählt Kerl, habe er drei gut im Griff: „Die rufen mich regelmäßig von selbst an.“ Doch mehr als das „gute Gefühl“ hat er als Erfolgsmesser nicht. Das ist nicht seine Schuld: Es kann keine Statistik geben, die verzeichnet, wie viele Sexualstraftaten aufgrund dieser Präventionsarbeit verhindert worden sind.

Früher wusste die Rechte nicht, was die Linke macht

Dennoch hat „Heads“ viele Vorteile: „Früher wusste die Rechte nicht, was die Linke macht", erläutert K 13-Leiter Horst Hanschmann. „Jetzt reden alle miteinander, die in den Fall involviert sind: Justiz, Bewährungshilfe, Polizei, Führungsaufsicht.“ Und die Staatsanwaltschaft erhält die Notizen und Akteneintragungen in Kopie. Hanschmann: „Selbst beim kleinsten Verstoß glühen die Drähte.“

Ein weiterer Vorteil: Wer unter Führungsaufsicht steht, den erkennt selbst der normale Streifenbeamte bei einer Computerabfrage. So erfährt Johann Kerl selbst von einer harmlosen Verkehrskontrolle, in die einer „seiner“ Männer geraten ist. Erfordert das besondere Sensibilität bei den Streifenbeamten? Hanschmann: „Nein. Die sind alle angespitzt und geschult, was diese Fälle angeht. Wer als Mann vor dem Kindergarten steht, wird kontrolliert. Davon können auch Väter erzählen, die es auch schon getroffen hat.“

Für Oberstaatsanwältin Strohbach ist das eine der großen Hoffnungen, die „Heads“ freisetzt: „Dass die Verbote besser überwacht werden können.“ Strohbach erhält die Überwachungsergebnisse über den Bewährungshelfer.

Verbote können jetzt besser überwacht werden.

Über weitere Möglichkeiten der Überwachung machen sich die Polizisten weiter keine Gedanken, weil sie sich von Gesetzes wegen verbieten: Zum Beispiel mit GPS-Armbändern in Amerika, wo der Aufenthaltsort des Mannes per Satellit überwacht wird. Hanschmann: „Nach Recht und Gesetz sind die nicht zulässig. Diese Männer sind Entlassene. Sie sind keine Straftäter mehr.“

„Heads“ ist eine engmaschige Kontrolle, aber nur so eng, wie es das Gesetz zulässt. Petra Strohbach: „Es gibt viele Schutzmechanismen. Doch bei massiven Straftaten geht es oft schon gar nicht mehr darum, dass der Täter an erster Stelle Schuld ist. Die Frage ist inzwischen: Wer hat es nicht verhindert? Doch die Schuld liegt beim Täter! Das sollte niemand vergessen." S. Will

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