Vielleicht etwas naiv, aber dafür mit frischem Wind

Generationssprünge im Nürnberger Rathaus: Wie die neuen kulturpolitischen Sprecher von CSU und SPD zwischen den Volksfesten und der Soziokultur wieder stärker am Profil ihrer Partei arbeiten – und dennoch mit Julia Lehner auskommen wollen
Mit neuen kulturpolitischen Sprechern sind die beiden großen Rathaus-Parteien in die sechsjährige Legislaturperiode gestartet. Überraschung inbegriffen. Denn während CSU-Frau Ulrike Hölldobler-Schäfer (49) systematisch vorbereitet wurde, kam SPD-Mann Rafael Raum (28) ganz neu ins Rathaus. Wir baten sie zu einem gemeinsamen Gespräch.
AZ: Ist Beschäftigung mit der Kultur in den Parteien nicht eher eine Karriere-Bremse?
ULRIKE HÖLLDOBLER-SCHÄFER: In meiner Fraktion nicht, da besteht von vielen Seiten Anteilnahme an den Themen, die damit zusammenhängen.
Und woher kommt Ihr persönliches Interesse?
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Schon von der Bildung. Ich habe Griechisch-Abitur gemacht, mich für Musik, Kunst und Literatur interessiert. Und ich bin immer wieder überrascht, welchen Radius unsere Stadt da zu bieten hat.
Herr Raum, Sie sind neu im Geschäft und gleich beim ersten Schritt an die vorderste Front der Kulturpolitik gestolpert. Sie studieren noch?
RAFAEL RAUM: In den letzten Zügen. Ich hatte mit Politikwissenschaft begonnen, habe dann aber aufs Gymnasial-Lehramt umgepolt. Eine Fächerverbindung, die mein Interesse an der Kultur zeigt.
Nämlich?
RAUM: Geschichte, Sozialkunde und auch Anglistik, wo die Literatur stark integriert ist.
Ab wann war das mit dem Blick auf Politik verbunden?
RAUM: Mein Weg sieht da eher untypisch aus, denn ich war lange überparteilich in der evangelischen Jugend-Verbandsarbeit tätig, bis der Punkt gekommen war, wo ich dort sein wollte, wo ich mich politisch daheim fühle.
Und wieso gleich aus dem Stand Kultur-Sprecher?
RAUM: Das war auch für mich durchaus überraschend.
Wenn man sieht, wer da von der SPD im Ausschuss alles um Sie herumsitzt – Schönfelder und Fischer, Zadek und Würffel – könnte man ja von generalstabsmäßiger Aufsicht sprechen. Ist das nicht beängstigend?
RAUM: Ich gebe zu, dass ich am Anfang dachte: Hm, interessante Konstellation. Dann habe ich es als Signal genommen, dass meine Fraktion keine Scheu hat, auch für Junge Platz zu machen, die noch unvoreingenommener oder auch naiver sind, aber frischen Wind reinbringen können.
Da die Kulturreferentin aus der CSU kommt, ist die CSU-Kultursprecherin sowas wie ihr verlängerter Arm...
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: So habe ich das noch nie gesehen, der verlängerte Arm bin ich nicht. Kulturpolitik braucht viele Ideen, nicht nur aus dem Referat.
Von außen ist längst nicht mehr zu erkennen, worin bei der Kulturpolitik der Unterschied zwischen SPD und CSU besteht. Oder finden Sie, dass im Kulturausschuss Diskussionen stattfinden?
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Kritische Nachfragen doch schon...
Ja, in der Qualität, warum das Karten-Knipsen in der Meistersingerhalle nicht schneller geht...
(vereintes Gelächter)
Früher mal wusste man nach Wortgefechten im Rathaus, wer wofür seht. Können Sie nachvollziehen, dass ich das nicht mehr erkenne?
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Es kommt auf die Agenda an, und in Zeiten knapper Kassen sind wir vor allem um Erhaltung der Errungenschaften bemüht. Das engt den Spielraum ein.
Das von den „knappen Kassen“ höre ich seit 35 Jahren...
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Deshalb sollten wir noch stärker klar machen, dass Kulturpolitik auch Wirtschaftspolitik ist und wir das erhalten müssen, was die Stadt attraktiv macht.
Ein großer Streitpunkt war früher die Stadtteilkultur. Die wird inzwischen von den Events überlagert. Hat die SPD damit keine Probleme?
RAUM: Ich glaube schon, dass es grundsätzliche Unterschiede gibt und wir sie stärker herausarbeiten sollten. Ich vernehme in der SPD laute Stimmen, wir müssten in der Soziokultur deutlich mehr tun. Der federführenden Kulturpolitik eilt in unseren Reihen der Ruf voraus, sie sei die „gute alte konservative“, nun verbunden mit obendrauf gesetzter Event-Kultur. Das ist vielleicht doch zu wenig.
Ist denn die einstige Gegnerschaft der CSU bei der Soziokultur wirklich vorbei?
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Das Wort Gegnerschaft ist falsch, wir hatten nur immer ein kritisches Auge darauf, was denn da gemacht wird. Wenn ich an kulturelle und politische Bildung denke, das muss nicht der Kulturladen machen.
Inwieweit unterscheiden Sie sich bei der Beurteilung der Massenveranstaltungen, der diversen Nürnberger Volksfeste mit Kultur-Aroma?
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Wo Leute dazu kommen, wie in der Blauen Nacht mit 130000 Besuchern, etwas neu wahrzunehmen und so auf die Spur kommen, dann muss ich das nicht kritisieren.
Auch wenn sie am nächsten Tag gleich wieder neben der Spur sind?
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Das wissen wir doch gar nicht genau.
RAUM: Wir brauchen keine weitere Steigerung an Massenveranstaltungen. Was Künstler zunehmend stört, ist der Eindruck, dass die Stadt auf Sponsoren angewiesen ist und manche von denen immer mehr auch inhaltlichen Einfluss nehmen.
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Das stimmt doch gar nicht, das glaube ich nicht.
Na, Gluck-Festspiele gibt es ausschließlich wegen eines einzelnen Sponsors...
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Das ist doch klar, jeder wird nur für etwas sein Geld geben, hinter dem er stehen kann.
Vor 20 Jahren gab es in Nürnberg den großen Aufbruch der freien Szene, von dem vor allem die Kindertheater übrig sind. Zur Zeit kommt kaum Neues nach. Müssten Sie da nicht nachhelfen?
RAUM: Ich sehe das schon als unsere Aufgabe, immer Möglichkeiten auszuloten. Etwa, warum die heutige Tanz-Szene insgesamt weniger stark ist als die frühere.
Das Staatstheater wird weiter zur Hälfte aus der Stadtkasse finanziert, aber die Stadträte haben nichts mehr zu sagen. Werden Sie bei der nächsten Finanzkrise die Bühnen vor Kahlschlag schützen?
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Die CSU steht hinter dem Theater. Dass wir das Schauspielhaus jetzt umbauen, ist doch ein deutliches Zeichen.
Hätten Sie nicht ein neues Haus bauen können?
(Vereintes Gelächter)
RAUM: Ich habe auch nicht das Gefühl einer Abkoppelung des Stadtrats.
Wie mutig darf das Kulturreferat sein, nachdem es für Olaf Metzels Stuhlskulptur soviel Prügel gab?
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Über Metzel wird heute doch ganz anders geredet als damals. Die Nürnberger Seele lacht längst drüber.
Im Kulturausschuss klang es gar nicht heiter, da war die Empörung gewaltig unter der drohenden Formel „Wenn wir das g’wusst hätten“...
RAUM: Ich wünsche mir unbedingt viel Mut, Kultur muss streitbar sein. Dann wissen Sie irgendwann auch wieder, wie sich die verschiedenen politischen Kräfte positionieren.
Verraten Sie mir ein einziges Kultur-Projekt, das Sie in den nächsten sechs Jahren durchsetzen möchten?
RAUM: Wir sind eine spannende Bevölkerungszusammensetzung in Nürnberg und ich denke, dass der Bereich beidseitiger Integration in der Kultur unsere ganz große Aufgabe sein wird. Auf die Hochkultur alleine können wir uns dabei nicht verlassen
HÖLLDOBLER-SCHÄFER: Wir müssen unsere Kulturpolitik nutzerorientiert ausrichten und auf breiter Basis attraktive Kulturangebote für Kinder schaffen. Dann kommt vielleicht wieder das Neue, das Ihnen derzeit in Nürnberg fehlt. Interview: Dieter Stoll