Verleger mahnen Politiker: Zeitung ist systemrelevant
Berlin/München (dpa/lby) - Angesichts des rasanten Medienwandels fordern Bayerns Zeitungsverleger eine zügige Verabschiedung der umstrittenen EU-Richtlinie zum Urheberrecht und eine staatliche Unterstützung bei den Zustellungskosten für Zeitungen. Die Verlage könnten erst nach der Ende März zur Abstimmung anstehenden EU-Reform des Urheberrechts auf Augenhöhe mit den großen Internet-Plattformen verhandeln, sagte der Vorsitzende des Verbands Bayerischer Zeitungsverleger (VBZV), Andreas Scherer, am Mittwoch in Berlin. "Unser Content ist wertvoll und nicht zum Nulltarif zu haben."
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprach sich als Alternative zu den großen Internetkonzernen für neue digitale Medienplattformen aus. "Wir müssen eigene Plattformen etablieren", sagte der CSU-Vorsitzende bei der VBZV-Jahrestagung in der Bayerischen Landesvertretung. "Dafür wären auf Dauer auch Gebührengelder sinnvoll angelegt", meinte Söder mit Blick auf die Diskussion um die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender.
Bayern werde für solche Plattformen erste Schritte machen, weitere nationale und europäische müssten folgen. Söder kündigte auch Geld dafür an. Der Freistaat werde das finanziell begleiten - zusammen mit der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM).
Nötig sei eine grundsätzlich neue Medienpolitik, sagte Söder. "Heute geht es darum, ob große digitale Giganten letztlich alles allein bestimmen", oder ob es überhaupt noch die Chance gebe, dass die Europäer dabei seien.
Der ARD-Vorsitzende und Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR), Ulrich Wilhelm, fordert bereits seit längerem eine europäische Antwort auf große Internetplattformen wie Facebook und die Google-Tochter Youtube. Der Intendant des Bayerischen Rundfunks hatte auch für eine gemeinsame Plattform der deutschen Zeitungsverleger und der öffentlich-rechtlichen Sender plädiert.
Bei Videos im Netz kann sich der VBZV-Vorsitzende Andreas Scherer unter bestimmten Bedingungen eine Zusammenarbeit vorstellen. Grundsätzlich sei denkbar, dass die ARD ihre Videos den Verlagen für deren digitale Angebote zur Verfügung stellt, sagte Scherer. "Auch hier brauchen wir aber ein Geschäftsmodell, wir müssen diese Videos selbst vermarkten können." Zugleich warnte der Verbandschef vor zunehmender Konkurrenz durch den BR: "Wenn der BR immer regionaler und immer kommerzieller wird, werden wir auch weiter als unbequeme Kritiker auftreten."
Die Politik solle auch über eine Infrastrukturförderung für den Pressevertrieb nachdenken, verlangte Scherer in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. "Eine Zeitung leistet für unsere Gesellschaft genauso viel wie eine Straße oder ein Glasfaserkabel." Die Kosten für die Zustellung seien in den vergangenen Jahren unter anderem durch den Mindestlohn förmlich explodiert.
Die EU-Richtlinie zum Urheberrecht soll auch Verlagsinhalte im Netz besser schützen. Die Verleger wollen, dass Internetkonzerne wie Google und Facebook für Mediencontent bezahlen. "Wer ihn nutzen will, muss uns fragen und im Zweifel dafür bezahlen", sagte Scherer. Söder setzt auf die Verabschiedung in der nächsten Woche. "Die grundlegende Richtung stimmt."
Kritiker befürchten dagegen durch die in der Richtlinie auch vorgesehenen Upload-Filter zu große Einschränkungen für Nutzer. Diese Technik soll beim Hochladen prüfen, ob Bilder, Videos oder Musik urheberrechtlich geschützt sind. Scherer kritisierte, die Upload-Filter seien als Kampfbegriff ins Spiel gebracht worden, um eine dringend notwendige Reform zu blockieren.
Die Zeitungsauflagen sind allgemein weiter rückläufig, in Bayern aber im Schnitt weniger stark als bundesweit. Die Blätter im Freistaat verkauften zuletzt rund 2,2 Millionen Exemplare (viertes Quartal 2018). Das ist ein Minus von 2,6 Prozent. Im Bundesschnitt fielen die Auflagen um 3,8 Prozent. Zunehmende Bedeutung haben die Digitalangebote der Verlage: Rund acht Prozent der Auflage in Bayern sind inzwischen E-Paper. Und bundesweit erreichen die Zeitungen über alle Kanäle mit ihren Print- und Digitalausgaben nach Verbandsangaben 89 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung über 14 Jahre.
Zugleich wird es immer schwieriger, die gedruckte Zeitung zu den Lesern zu bringen. Die Zahl der Zeitungszusteller sank bei den VBZV-Verlagen weiter auf 19 600 zu Jahresbeginn. Rund drei Viertel sind geringfügig beschäftigt. "Die Zustellung pro Exemplar wird immer teurer, weil die Printauflagen sinken", beklagte Scherer. Gleichzeitig seien die Kosten beim Mindestlohn extrem gestiegen - auch durch die Pflicht zur Dokumentation und Kontrolle der Arbeitszeiten.
Die Politik müsse hier finanziell entlasten. "Die Zeitung ist für unsere Demokratie systemrelevant", sagte Scherer. Viele andere EU-Staaten förderten den Pressevertrieb. Söder, selbst vor seiner politischen Karriere Redakteur beim BR, forderte die Verleger angesichts der Herausforderungen zu mehr Optimismus im Kampf um Leser auf. "Wer jammert, kriegt keinen Besuch."
Bei den turnusmäßigen Wahlen des VBZV wurde der Augsburger Verleger Scherer ("Augsburger Allgemeine") als erster Vorsitzender für weitere zwei Jahre bestätigt, ebenso der zweite Vorsitzende Laurent Fischer aus Bayreuth ("Nordbayerischer Kurier"). Scherer steht seit 2007 an der VBZV-Spitze. Neu in den Vorstand gewählt wurde Martin Wunnike aus Regensburg ("Mittelbayerische Zeitung").