Verhungerte Lea: Jugendamt räumt Versäumnisse ein
TIRSCHENREUTH - Das Jugendamt ging den Hinweisen nicht nach: Jetzt hat die Behörde im Fall der gestorbenen kleinen Lea Versäumnisse eingeräumt. „Möglicherweise hat man den Fall dann aus den Augen verloren“, heißt es.
Im Fall der verhungerten Lea aus dem oberpfälzischen Tirschenreuth hat das Jugendamt schwere Versäumnisse eingeräumt. Auf einen Hinweis besorgter Nachbarn sei nicht mit einem Hausbesuch reagiert worden, sagte Jugendamtsleiter Albert Müller am Donnerstag in Tirschenreuth. Das Jugendamt habe den Hinweis nicht als akute Gefährdung eingestuft. „Das war ein Versäumnis. Es hätte in angemessener Zeit ein Hausbesuch stattfinden müssen.“ Personelle Konsequenzen aus dem Fall hat die Behörde bisher aber nicht gezogen.
Die zweijährige Lea war am Samstag tot in ihrem Kinderbett gefunden worden, sie war verhungert und verdurstet. Nachbarn hatten das Amt schon vor einem halben Jahr auf mögliche Probleme in der Familie hingewiesen. Sie waren aufmerksam geworden, weil Lea und ihr vierjähriger Bruder nicht mehr im Garten spielten, sondern am Fenster gesehen wurden, wie sie herunterwinkten.
Zu dem Hinweis der Nachbarn gibt es im Jugendamt sogar eine kurze Notiz. Die Entscheidung, auf einen Hausbesuch zu verzichten, hätten mehrere Mitarbeiter gemeinsam getroffen, sagte Müller. „Möglicherweise hat man den Fall dann aus den Augen verloren“, musste der Chef des Jugendamtes einräumen.
Hätte Leas Tod verhindert werden können? „Das ist rückblickend nicht zu beantworten“, sagte der Jugendamtschef. „Man kann nur spekulieren, wie die Verhältnisse vor einem halben Jahr waren.“ Veränderungen in einer Familie träten oft sehr schnell ein. „Es ist fraglich, ob regelmäßige Kontrollbesuche den Tod verhindert hätten.“
Die 21-jährige Mutter sitzt in Untersuchungshaft. Ihr wird Totschlag durch Unterlassung vorgeworfen. Vom Vater der Kinder hatte sie sich schon vor einiger Zeit getrennt, der Mann habe aber regelmäßig Kontakt zu seinen Kindern gehabt, zuletzt 14 Tage vor Leas tragischem Tod. Der vierjährige Bruder sei gesund und gut untergebracht. Gemeinsam mit dem Vater wolle man für ihn „Perspektiven entwickeln“, hieß es.
In der 9000-Einwohner-Stadt nahe der tschechischen Grenze kocht derweil die Volksseele hoch. Zwei Schilder sind an der Einfahrt zum Haus der Mutter angebracht: „Grausam – Wo war das Jugendamt“ – heißt es auf dem einem Plakat neben einem Foto des kleinen Mädchens. „Ich wollte doch erwachsen werden und nicht schon mit zwei Jahren sterben“, steht auf dem anderen, auf dem sogar die Todesstrafe für die Mutter gefordert wird.
Müller sagte, die Familie habe vor dem tragischen Fall keinen Kontakt zum Jugendamt gehabt. Lediglich vor der Geburt des Bruders habe es eine Beratung gegeben. Dagegen sei die Mutter wegen finanzieller Fragen in Kontakt mit dem Kreisjugendamt gestanden. Niemand habe Anhaltspunkte für erzieherische Defizite oder eine Überlastung der Mutter gesehen.
Strafrechtliche Ermittlungen gegen das Jugendamt wurden bisher nicht eingeleitet, sagte Regierungsdirektor Albert Meyer vom Landratsamt. Was interne Konsequenzen betrifft, so müsse man prüfen, ob gegen Dienstpflichten verstoßen wurde. „Wir wollen nichts beschönigen und rückhaltlos aufklären“, versicherte Landrat Wolfgang Lippert (Freie Wähler), der seinen Skiurlaub abgebrochen hatte, um nach Tirschenreuth zu eilen. „Das Jugendamt und der Landkreis haben durch den Fall immensen Schaden erlitten“, beklagte er.
Das sei schlimm, denn die Behörde kümmere sich normalerweise sehr intensiv um solche Fälle. In den vergangenen Jahren ging das Jugendamt nach Müllers Worten rund 150 Hinweisen nach und machte Hausbesuche. „Es ist tragisch und unverständlich, dass das hier nicht passiert ist.“
dpa, Stephan Maurer
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