Verfassungsrichter bremsen beim Kennzeichenabgleich
München (dpa/lby) - Das Bundesverfassungsgericht schützt Autofahrer vor einer zu weitgehenden Erfassung ihrer Nummernschilder durch die Polizei. Nach Klagen mehrerer Betroffener aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg erklärten die Karlsruher Richter die Vorschriften zum automatischen Abgleich von Kfz-Kennzeichen mit Fahndungsdaten in den drei Ländern zum Teil für verfassungswidrig. In Bayern befeuerte das Urteil den Streit zwischen Staatsregierung und Grünen und SPD zur automatischen Kennzeichenerfassung.
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach von einem wichtigen Instrument der Polizei im Kampf für mehr Sicherheit. "Unsere automatisierte Kennzeichenerkennung an polizeilichen Kontrollstellen und im Rahmen der Schleierfahndung ist mit der Verfassung grundsätzlich vereinbar", sagte er. Das Urteil aus Karlsruhe betreffe "nicht den Kern der eingeräumten Befugnisse, sondern nur einzelne Aspekte ihrer rechtsstaatlichen Ausgestaltung". Man werde das bayerische Gesetz den Vorgaben aus Karlsruhe anpassen.
Bayern nutzt Erkennungsgeräte seit 2006 und betreibt nach eigenen Angaben inzwischen 22 stationäre und sechs mobile Anlagen. Daran fahren demzufolge im Monat durchschnittlich rund 8,5 Millionen Fahrzeuge vorbei. Dies führe im Jahr zu rund 10 000 Treffern.
Der Kennzeichen-Abgleich zur Gefahrenabwehr ist in den Polizeigesetzen der Länder geregelt. Gegenstand der Klagen waren nur die Vorschriften in den drei Bundesländern, sie dürfen in dieser Form höchstens bis Ende des Jahres in Kraft bleiben. Die Technik nutzen auch andere Länder, etwa Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.
Dabei werden mit speziellen Geräten an der Fahrbahn die Nummernschilder aller vorbeifahrenden Autos gescannt und kurz mit Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung erfasst. Die Insassen bekommen davon nichts mit. Ergibt der automatisierte Abgleich mit dem Fahndungsbestand keinen Treffer, werden die Daten sofort wieder gelöscht. Zeigt das System eine Übereinstimmung an, überprüft ein Polizist den Fall und veranlasst gegebenenfalls die Verfolgung.
Die Polizei setzt auf die Technik, um gestohlene Autos zu finden oder polizeibekannte Unruhestifter auf dem Weg zu einer Großveranstaltung oder einer Demonstration abzupassen. Auch im Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität oder beim Aufspüren von Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung kommt das Verfahren zum Einsatz.
Grünen-Landtagsfraktionschefin Katharina Schulze warf der Staatsregierung einen "übertriebenen Überwachungsdrang" vor. "Wenn einmal mehr das höchste Gericht eingreifen muss, um die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen, dann hat der Gesetzgeber einen Fehler gemacht", sagte sie. "Dieser übertriebene Überwachungsdrang schränkt bürgerliche Freiheitsrechte ein und ist mit unserem Verständnis einer offenen Gesellschaft nicht vereinbar." Der SPD-Politiker Christian Flisek kritisierte, Bayerns Polizeirecht befinde sich "auf Konfrontationskurs mit dem Grundgesetz".
Herrmann dagegen argumentierte, Fahndungserfolge zeigten, wie wichtig und unverzichtbar die automatisierte Kennzeichenerfassung für mehr Sicherheit sei. Die bayerische Polizei habe damit den Transport gestohlener Fahrzeuge ins Ausland verhindern und erhebliche Mengen Rauschgift sicherstellen können. Es seien Schleusungen aufgedeckt und Diebesbanden dingfest gemacht worden. Und man habe Menschen retten können, die in Selbstmordabsicht unterwegs gewesen seien - und eine junge Frau nach einer Entführung und Vergewaltigung befreien können.
Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) sagte nach einer Kabinettssitzung, man werde sehen, wie man das Gesetz verändern müsse, um den Vorgaben aus Karlsruhe gerecht zu werden. Dafür habe man genug Zeit. Er betonte aber ebenfalls, das Gericht erkenne den Sinn der Kennzeichenerfassung an - es werde allerdings die Schwelle, wann man die Maßnahme anwenden darf, etwas nach oben verlagert.
Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Nachtigall, sagte, die automatisierte Kennzeichenkontrolle habe sich bewährt und müsse der Polizei weiterhin zur Verfügung stehen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2008 schon einmal wichtige Vorgaben zum Kennzeichen-Abgleich gemacht. Damals erklärten die Richter Vorschriften in Hessen und Schleswig-Holstein für nichtig, weil sie unverhältnismäßig und unklar waren.