"Unwürdig": Müllproblem an bayerischem Tourismus-Hotspot
München/Berchtesgaden - Die Fahrt zum Königssee gleicht öfter einer Fahrt nach Genua", schreibt Gemeinderat Hans Kortenacker (BBG) auf Facebook. Zum fünften Mal in diesem Jahr wurde dort der Müll nicht geleert, sagt er – trotz Anhebung der Müllgebühren um beinahe 50 Prozent.
Das Landratsamt weiß um die Problematik, räumt sogar ein: Vieles werde nicht ordnungsgemäß abgearbeitet – wegen zunehmender Personalengpässe bei den Dienstleistern. Die Müllentsorgung wurde nun neu ausgeschrieben. Zum Alltag der Königsseer Straße gehören die vielen Mülltonnen zwar noch nicht. Aber das schon zur Regelmäßigkeit gewordene Ausbleiben der Leerung nervt nicht nur die Anwohner in der Tourismusregion gewaltig.
Kortenacker hat für das Ansprechen des Problems auf Facebook viel Zuspruch erhalten. Hausmüll, Papier – die Tonnen gruppieren sich im Dutzend auf den Gehwegen, bleiben einfach stehen, mitten an der Hauptstraße, die zum Königssee führt und auf der sich jeden Tag tausende Fahrzeuge bewegen. Teilweise länger als eine Woche.
Kommunalpolitiker spricht von unhaltbarer Situation: "Unwürdig für eine Tourismusregion"
Für den Kommunalpolitiker ist die Situation nicht haltbar. "Unwürdig für eine Tourismusregion", schimpft er – und fordert, das Thema zur "Chefsache" zu machen. Klar ist: Die Leerung im Landkreis funktioniert alles andere als wie geschmiert. Etliche Bürger wettern im Netz, der Landkreis sei "komplett überfordert" mit der Müllentsorgung. Tatsache ist: Die Behörde hat die Dienstleistung, also das Leeren der Tonnen, an Fremdfirmen vergeben. Geregelt wird alles aus dem Landratsamt heraus.
Dass die Müllentsorgung nicht reibungslos funktioniert, räumt auch die Kommunale Abfallwirtschaft am Landratsamt Berchtesgadener Land auf Nachfrage ein. "Leider werden diese Umstände regelmäßig erst nach Bekanntwerden von Leerungsdefiziten und nur auf Nachfrage mitgeteilt", schreibt Thomas Hartenberger, Fachbereichsleiter Kommunale Abfallwirtschaft. Vor allem, wenn Stammfahrer abwesend sind und mit Ersatzmannschaften gearbeitet wird, hätten die Müllbeseitiger ihre Probleme. Viele Missstände in Sachen Tonnenleerung werden dann nicht ordnungsgemäß abgearbeitet.
Die Königsseer Straße in Berchtesgaden ist nur beispielhaft – auch im mittleren und nördlichen Landkreis kommt es immer wieder zu Schwierigkeiten bei den wöchentlichen Müllentsorgungen. Mehrfach musste das Landratsamt Missstände per Pressemitteilung kommunizieren – damit die Anwohner nicht auf die Barrikaden gehen.
Via Push-Mitteilung informiert die Behörde auch in der landkreiseigenen Abfall-App. Fakt ist: Müllentsorgung ist ein heikles Thema geworden. Die Bürger setzen auf Pünktlichkeit und Verlässlichkeit – spätestens seitdem die Landkreisbewohner knapp 50 Prozent mehr zahlen müssen für die Entsorgungsdienstleistung.
Tonnen von Müll reihen sich aneinander: Haben die Entsorgungsunternehmen die Lage nicht im Griff?
Die Sache mit dem Müll ist für den Landkreis zur Herausforderung geworden. Es hat sich eine problematische Dynamik entwickelt. Beim Landratsamt gesteht man ein, "eine Vielzahl von Meldungen der Bürger" zu erhalten. "Jede einzelne und gerechtfertigte Meldung an die Kommunale Abfallwirtschaft wird direkt an die Unternehmen zur Nachbearbeitung weitergeleitet", sagt Thomas Hartenberger. Diese hätten nach Bekanntwerden zwei Arbeitstage Zeit zur Nachbesserung.
Vermehrt müssen die Verantwortlichen bei der Abfallwirtschaft aber feststellen, dass die beauftragten Unternehmen die Lage nicht im Blick haben oder richtig einschätzen. Hartenberger sagt: "Das Landratsamt fordert die Unternehmen auf, die Sache hausintern aufzuklären und über die Probleme, aber auch über Lösungen zu informieren."
Der Personalengpass, den die Müllentsorgungsunternehmen beklagen, hat sich zu einem substanziellen Problem entwickelt. Nachleerungen werden immer häufiger mit "kostspieligen Kleinstfahrzeugen" vorgenommen, etwa dann, wenn kein Lkw-Fahrer zur Verfügung steht. Wenn der Müll an der Straße stehen bleibt, könne das nicht das Problem des Bürgers sein, der mit deutlich höheren Mehrkosten konfrontiert ist, wird im Internet gewettert. Hans Kortenacker fordert daher Rückerstattungen für nicht erbrachte Leistungen.
Bürger können sich unter gewissen Umständen Gebühren rückerstatten lassen
Eine Nichtleerung beziehungsweise eine ausgebliebene Leistung liegt laut Abfallwirtschaft aber erst dann vor, "wenn die Tonne gar nicht geleert wurde, also wenn zwischen zwei Regelterminen keine Nachleerung stattgefunden hat". So wie im Fall der Königsseer Straße. Dort können nun etliche Dutzend Anwohner eine Rückerstattung beantragen. Dass das nicht viel bringen dürfte, macht Thomas Hartenberger klar: Die Erstattung der Gebühren beziehe sich nur auf die ausgefallene Leistung.
Bedeutet: "Nur ein Bruchteil der monatlichen Gebühren wird ersetzt." Denn darin stecken auch Kosten für Wertstoffsammlung und Deponien – nicht nur die Leerung der Mülltonne als solche. Zur Verwunderung vieler Bürger erfolgt die Rückerstattung nur auf Antrag, nicht automatisch, wie es so mancher erwarten würde.
Landratsamt will auf mehr Pünktlichkeit hinwirken
Die mangelhafte Abfallentsorgung hat das Landratsamt zu einem Schritt bewogen, der für Besserung sorgen soll: Mit Wirkung Anfang Oktober wurde die Müllentsorgung neu ausgeschrieben. Es gilt ein neues Vertragswerk. "Mit diesem hat das Landratsamt, im Rahmen des rechtlich Möglichen und wirtschaftlich Vertretbaren, Maßnahmen festgelegt, um auf mehr Zuverlässigkeit, allen voran Pünktlichkeit, hinzuwirken", sagt Hartenberger.
So seien die Leerungen für rund 108.000 Landkreisbewohner im vergangenen Monat "grundsätzlich positiver im Vergleich zu den Vormonaten" verlaufen. Dazu geführt haben personelle und betriebliche Umstrukturierungen. Die Unternehmen wüssten aber um ihre noch vorhandenen Lücken. Daher sei zusätzlich der Tourenplan überarbeitet worden – zum Jahreswechsel soll dieser in Kraft treten.
In der Abfallwirtschaft setzt man auf effizientere Fahrzeuge, zudem wird es neue Abfuhrtage geben. Auch wird weiteres Personal für den Großauftrag des Landkreises bereitgestellt. Das Ziel: weniger Störungen im Betriebsablauf und eine flexiblere Reaktion bei Personalausfällen. Ernüchternd ist: An mehreren Leerungstagen Ende Oktober und Anfang November erbrachten die Maßnahmen bislang keine Wirkung – erneut blieben Landkreis-Tonnen ungeleert.