Überall Radfahrer in bayrischem Touristen-Hotspot: Warum es zum Zoff kommt

Fahrräder gibt es viele im Nationalpark Berchtesgaden - zwischen Wanderern, Landwirten und Bikern kommt es deshalb zu Auseinandersetzungen.
Kilian Pfeiffer |
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Die Berge mit dem Rad erkunden: Die Nutzerzahlen steigen in touristischen Regionen wie dem Berchtesgadener Land immer mehr.
Die Berge mit dem Rad erkunden: Die Nutzerzahlen steigen in touristischen Regionen wie dem Berchtesgadener Land immer mehr. © Kilian Pfeiffer

Immer mehr Radfahrer tummeln sich auf den Wegen und Forststraßen im Berchtesgadener Land - neben Wanderern und Spaziergängern. Im Nationalpark Berchtesgaden, wo auch Landwirte ihre Almen bewirtschaften, "ist es voll geworden", heißt es gar im offiziellen Park-Magazin "Vertikale Wildnis". Das hat auch damit zu tun, dass immer mehr Wege testweise freigegeben werden: Dem Radlboom wird Rechnung getragen. Das Problem: je voller, desto mehr Konflikte.

Regionen wie das Berchtesgadener Land, in dem der einzige Alpennationalpark Deutschlands beheimatet ist, bekommen die Auswirkungen des zunehmend beliebter werdenden Hobbys live zu spüren. Und auch beim Bayerischen Bauernverband in Traunstein weiß man von Nutzungskonflikten zwischen Wanderern, Radlern und Landwirten, die in der Alpenregion ihrer Arbeit nachgehen.

Nationalpark Berchtesgaden: Interessen prallen aufeinander

Am Beispiel Nationalpark Berchtesgaden zeigt sich das Problem insofern eindrücklich, weil hier verschiedene Nutzungsinteressen auf vergleichsweise kleinem Raum aufeinander prallen: Während Landwirte ihre Almen bewirtschaften und ihre Tiere den Sommer über auf die Almen treiben, wollen Wanderer die schönen Landschaften erleben, eine Brotzeit auf der Alm genießen, Bergsteiger hingegen die Gipfel erklimmen, Radfahrer Ziele erreichen, für die man zu Fuß deutlich länger bräuchte. Alle nutzen dabei dieselben Wege. Schon jetzt zählt der Nationalpark rund 1,3 Millionen Besucher pro Jahr. Tendenz steigend.

BRK muss sieben Mal ausrücken

Erschwerend kommt hinzu: Der Schutz der Natur soll "nicht unter die Räder" kommen. Doch Räder gibt es mittlerweile sehr viele. Das weiß auch Martin Huber, einer der beiden Geschäftsführer des Bayerischen Bauernverbands in Traunstein. "Das Problem ist grundsätzlich kein neues", sagt er. Aber immer mehr Radler bedeutet auch immer mehr mögliches Konfliktpotenzial.

"Die Interessen und Belange jeder Nutzergruppe sind grundsätzlich nachvollziehbar", heißt es etwa in "Vertikale Wildnis". Das halbjährlich erscheinende Magazin widmet dem Thema gar eine Titelstory unter der Überschrift "Wege sind für alle da! (Wirklich?)".

Geworben wird darin für ein möglichst konfliktfreies Miteinander angesichts stark steigender Nutzerzahlen. Im Mittelpunkt des Spannungsfeldes steht die steigende Zahl der Radfahrer, die der Tatsache geschuldet ist, dass sich die Region ihnen öffnet und auf politischer Ebene der Weg für Radfahrer bereitet wird.

Fahrradfahrer ohne Helm im Nationalpark Berchtesgaden unterwegs

Der Kreisverband Berchtesgadener Land des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) hatte es in diesem Jahr bereits mit einer Reihe an Einsätzen zu tun. Die Zahl der Radunfälle habe wieder zugenommen, heißt es dort.

Im vergangenen April musste das BRK an einem Tag siebenmal ausrücken, weil Radfahrer gestürzt waren oder in Konflikt mit anderen Nutzergruppen gerieten. Die Unfälle ereigneten sich unter anderem in Höhenlagen, etwa auf einer Forststraße in Anger, auf der ein Urlauber bergab gestürzt war.

Ohne Helm unterwegs war ein 48-Jähriger am selben Tag an der Kunsteisbahn am Königssee. Alleinbeteiligt, heißt es, zog sich dieser eine schwere Kopfverletzung zu, nachdem er sich überschlagen hatte.

Martin Huber.
Martin Huber. © Kilian Pfeiffer

Zu einem Konflikt zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Freizeitsport kam es ebenfalls am selben Tag in Saaldorf-Surheim. Eine Salzburgerin war mit ihrem Pedelec unterwegs. Sie übersah den schwenkbaren Arm einer Gülle-Maschine. Dieser ragte in Kopfhöhe in den Weg. Es kam zum Zusammenstoß. Gegen den Landwirt wird wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelt. Der Vorfall ist eine Ausnahme. Häufiger sind es Radfahrer selbst, die Regeln missachten, über Felder kurven und abseits der Wege vor sich hin strampeln.

Eine Umfrage aus dem Jahr 2019 zeigt, dass das Konfliktpotenzial durchaus vorhanden ist: Laut Nationalpark hatten elf Prozent der Besucher mitgeteilt, "eine unerfreuliche Begegnung mit Mountainbikern erlebt zu haben".

"In den Bergen ist an manchen Tagen zu viel los"

Häufig könne rücksichtsloses und unfreundliches Verhalten von Radfahrern und Wanderern gleichermaßen zu Konflikten führen, heißt es.

"Natürlich gibt es Situationen, die man sich als Landwirt nicht wünscht", sagt ein Bauer aus Berchtesgaden, der selbst eine Alm bewirtschaftet. Rasende Radler oder Spaziergänger mit Hund, die bellend Nutztiere verschrecken. "Ja, das gibt es."

Verbale Auseinandersetzungen mit E-Bikern hatte er deshalb schon mehrfach. Absicht unterstellt er dabei aber niemandem. Klar ist ja auch: Jeder Freizeitsportler ist auf der Alm potenzieller Einkehrer.

Radeln abseits der Wege ist gefährlich: Biker überraschen Tiere

Doch sollte unüberlegtes Handeln nicht zu einer Missachtung von offiziellen Wegen führen: "In den Bergen ist an manchen Tagen zu viel los", sagt der Landwirt. Hinzu kommt: Immer mehr Apps locken Nationalpark-Besucher an Orte, die ohne die heute vorhandenen technischen Möglichkeiten unerreichbar wären.

"Vor allem das E-Bike verleitet zu frühmorgendlichen und spätabendlichen Touren an Orte, an denen ohne Motorunterstützung zu dieser Zeit sonst niemand unterwegs wäre", heißt es im Schutzgebiet. Dort weiß man: Biker überraschten Tiere "vor allem abseits der offiziell freigegebenen Wege durch Unvorhersehbarkeit und hohe Geschwindigkeiten", wie es im Nationalpark-Magazin "Vertikale Wildnis" heißt. Dies könne "kräftezehrende Fluchten zur Folge haben".

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Dass es immer wieder Begegnungen mit weidenden und verschreckten Rindern gab, bestätigt man auch beim Bayerischen Bauernverband. Geschäftsführer Martin Huber setzt auf Toleranz auf beiden Seiten - sowie die Beachtung von Regeln.

Im Nationalpark Berchtesgaden greift ein weiterer Faktor: schutzbedürftige Tiere. Weil Wildtiere wie etwa das Auerhuhn stark frequentierte Wege meiden, ist eine Folge unausweichlich: Der Lebensraum wird eingeengt.

Nationalpark kann auf knapp 50 Kilometern mit dem Fahrrad erkundet werden

Bereits seit Anfang der 1990er-Jahre gibt es erste Überlegungen im Nationalpark, welche Auswirkungen eine verstärkte Nutzung des Schutzgebietes mit sich bringt. Vor 32 Jahren initiierte das Landratsamt Berchtesgadener Land bereits eine Verordnung "über die Regelung des Betretens in Form des Radfahrens" im einzigen Alpennationalpark. Mit der Radverordnung soll Konflikten vorgebeugt werden.

Mittlerweile kann der Nationalpark auf knapp 50 Kilometern mit dem Fahrrad erkundet werden. Die freigegebenen Wege sind im Gelände markiert und an weißen Schildern mit grüner Schrift zu erkennen.

Erst kürzlich hatte die Untere Naturschutzbehörde in Zusammenarbeit mit den Nationalparkgemeinden Ramsau und Schönau am Königssee, der Verwaltung des Schutzgebietes und weiteren Verbänden ein Konzept ausgearbeitet, um das Wegenetz für Radfahrer abermals zu erweitern - "ohne Konflikten mit anderen Interessen Vorschub zu leisten", wie es beim Nationalpark heißt. Die testweise Freigabe von zusätzlichen Radwegen im Nationalpark ist zeitlich auf insgesamt drei Jahre begrenzt.

Ein Katalog für richtiges Verhalten

Künftig lassen sich Ziele wie die Ragertalm, die Priesbergalm, aber auch die Stubenalm per Rad ansteuern. Wenn das Konfliktpotenzial gering bleibt, könnten die Strecken dauerhaft freigegeben werden - und sogar weitere Wege im Schutzgebiet geöffnet werden, die weitere Almgebiete eröffnen.

Sorge bereitet die Erweiterung selbst Kaspar Stanggassinger, Bezirksalmbauer in Berchtesgaden, keineswegs. "Natürlich gibt es gewisse Gebiete bei uns, in denen immer wieder mal mehr Radler unterwegs sind." Das sei vergleichbar mit der Präsenz von Tierbesitzern. Auch Konflikte zwischen Hunden und Rindern sind dem Bezirksalmbauer bekannt. Jedoch: Sie stellen Einzelfälle dar.

Der Nationalpark hat einen Katalog zum richtigen Verhalten für die wachsende Gruppe der Mountain- und E-Biker ausgearbeitet, in dem behutsam Rücksicht eingefordert wird - auf tierische Bewohner der Berge und andere Nutzergruppen. Im Nationalpark soll noch in diesem Jahr eine weitere Umfrage Klarheit schaffen, wie die verschiedenen Nutzergruppen miteinander klarkommen.

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23 Kommentare
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  • Hoferer am 02.07.2024 14:33 Uhr / Bewertung:

    Ich war schon vor 40 Jahren mit dem Rad ohne Akku in bzw. auf den Bergen. Meist dort wo die Entfernungen für das Gros der Wanderer schon zu groß ist und nur noch Biker sich begegnen. Nun, wie fast schon jeder und jede, mit Akku. Wo genau soll jetzt das Problem sein? Und was die Liebe zur Natur betrifft, mit Fernglas und Naturschutz (genau genommen aktiver Naturschutzwächter) im Hintergrund können Sie mich EBiker mit Ihren Unterstellungen weder meinen noch treffen.

  • FRUSTI13 am 30.06.2024 22:11 Uhr / Bewertung:

    Falsch! Mountenbiker waren nicht schon immer in den Bergen unterwegs! Und wenn diese nicht auf den ausgewiesenen Wegen unterwegs sind, kommt oft genug vor, zerstören sie auch Natur und stören die tierischen Wald- und Bergbewohner.

  • Hanswurst am 02.07.2024 12:36 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von FRUSTI13

    Helfen Sie mir, wer war denn "schon immer" in den Bergen unterwegs?
    Aha, Mountainbiker zerstören die Natur. Hm, schon mal die Spuren vom Harvester gesehen, nachdem der im Wald unterwegs war?
    Und der grösster Störer der Tiere im Wald und auf dem Berg ist immer noch der winterliche Tourengeher, der abseits von Wegen durch den Schnee stapft.

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