Tschernobyl wirkt nach: Noch immer verstrahlte Schwammerl-Pilze in Bayern

Die Pilz-Saison ist in Bayern immer auch eine Erinnerung an Tschernobyl. Ein Experte vom Umweltinstitut in München verrät, wo man aufpassen muss, welche Sorten belasteter sind und wo man eine kostenlose Einschätzung erhält.
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Ein Maronenröhrling - sie gehören zu den Pilzen, die stark belastet sein können.
Ein Maronenröhrling - sie gehören zu den Pilzen, die stark belastet sein können. © imago

München - Hauke Doerk steckt ein bisschen in der Zwickmühle: Einerseits isst er gern Schwammerl, andererseits beschäftigt er sich beim Umweltinstitut München mit radioaktiver Strahlung, die seit nunmehr fast 40 Jahren in den Pilzen in Bayern schlummert. Das Wissen um das Cäsium-137 – kurz Cs-137 – trübt das Sammlerglück. Das Nuklid entsteht bei einer Kernspaltung.

1986 kommt es in Tschernobyl zur radioaktiven Katastrophe - weder Distanz noch Zeit schützen vor den Auswirkungen. Bayern, rund 1800 Kilometer entfernt, kämpft auch 37 Jahre später noch mit den Folgen in den Wäldern. Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) untersucht seither Jahr für Jahr, wie belastet die Schwammerl im Süden Deutschlands noch sind. Anfang nächster Woche soll der neue Bericht 2023 darüber erscheinen. Das teilt die Behörde der AZ vorab mit.

Experte vom Umweltinstitut in München: "Radioaktivität nimmt leider nur langsam ab"

Das Ergebnis aus dem vergangenen Jahr lässt allerdings nicht darauf hoffen, dass sich das Problem von einem Jahr aufs nächste in Luft auflöst: "Einige Pilzarten können noch bis zu einige tausend Becquerel Cs-137 pro Kilogramm Frischmasse aufweisen", hieß es im Bericht im Jahr 2022.

Hauke Doerk am Messgerät.
Hauke Doerk am Messgerät. © Umweltinstitut

Auch Doerk vom Umweltinstitut in München sagt zur AZ: "Die Radioaktivität nimmt leider über Jahrzehnte nur langsam ab." Zur Einordnung: Pilze, deren Cäsium-137-Gehalt 600 Becquerel pro Kilo Frischmasse überschreitet, dürfen in Deutschland nicht verkauft werden. "Dieser Grenzwert gilt jedoch nicht für Pilze, die privat für den eigenen Verzehr gesammelt werden", schreibt das Bundesamt dazu.

Im Bayerischen Wald, am Alpenrand und im Mittenwald ist die Strahlung besonders hoch

Doerk sagt: "Vereinzelt sind Pilze stark belastet, es kommt sehr auf den speziellen Wald und die Sorte an. Wir haben zum Beispiel vor einigen Jahren bei Geltendorf noch Maronenröhrlinge mit über 2000 Becquerel pro Kilo gemessen." Man beobachte zwar, dass die Belastung langsam abnehme. Aber bis die Strahlung nicht mehr messbar sein wird, müsse man von rund 300 Jahren ausgehen, sagt der Experte.

Wo sind kontaminierte Hotspots in den letzten Jahren gewesen? In Waldgebieten im Bayerischen Wald, am Alpenrand, im Raum Mittenwald sowie im Donaumoos südwestlich von Ingolstadt, heißt es auf der Seite des BfS. Der Münchner Experte Doerk nennt die Gegend um Augsburg, Garmisch-Partenkirchen und Berchtesgaden. Die jeweilige Belastung hänge damit zusammen, an welchen Stellen damals lokale Schauer die radioaktive Wolke abgeregnet haben, erklärt er.

Blick auf den zerstörten Reaktor des Atomkraftwerkes Tschernobyl in der Ukraine im Mai 1986. Die Auswirkungen der Katastrophe sind bis heute spürbar – auch in Bayern.
Blick auf den zerstörten Reaktor des Atomkraftwerkes Tschernobyl in der Ukraine im Mai 1986. Die Auswirkungen der Katastrophe sind bis heute spürbar – auch in Bayern. © dpa

Sorgenfreies Pilze-Sammeln? "Gibt keine Dosis, unter der Radioaktivität unschädlich ist"

Auch auf die Sorte Schwammerl kommt es an. Das Umweltinstitut teilt dazu mit: "Manche Pilze sind besonders radioaktiv belastet, wie zum Beispiel Maronenröhrlinge oder der Semmelstoppelpilz. Steinpilze und Pfifferlinge weisen weniger Radioaktivität auf." Das hängt mit "der Biologie" der einzelnen Pilze zusammen, so Doerk. Manche Pilze nehmen ihm zufolge das Element Cäsium-137 stärker auf. "Pilze haben ein großes Wurzelgeflecht und können über große Gebiete Stoffe sammeln. Manche Pilze machen das mehr als andere."

Also was tun, wenn man nicht mit Unbehagen Schwammerl sammeln will? Doerk sagt: "Es gibt keine Dosis, unter der Radioaktivität gänzlich unschädlich ist." Wer aber bei üblichen Mengen gesammelter Pilze bleibe, "wird die Strahlenbelastung nicht über die natürlichen Schwankungen hinaus verändern". Er nennt ein Beispiel: "Wenn Sie stark verstrahlte Pilze erwischen mit 1000 Becquerel pro Kilogramm und davon eineinhalb Kilo essen – das entspricht etwa sechs Portionen –, hätten Sie die Strahlenbelastung von einem Mal Lunge röntgen aufgenommen."

Sammler können ihre Pilze kosten beim Umweltinstitut in München testen lassen

Das Bundesamt für Strahlenschutz hat auch einen Vergleich auf seiner Homepage parat: "Der Verzehr von 200 Gramm Pilzen mit 2000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm hat eine Belastung von 0,005 Millisievert zur Folge. Dies ist deutlich weniger als die Strahlenbelastung bei einem Flug von Frankfurt nach Gran Canaria. Erwachsene, die jedoch jede Woche eine solche Pilzmahlzeit verzehren, erfahren eine zusätzliche Strahlendosis wie bei rund 20 Flügen von Frankfurt nach Gran Canaria."

Ein Wildschwein sucht nach Futter. Darunter fallen auch Pilze, die aufgrund der Tschernobyl-Katastrophe noch immer hohe Strahlenwerte aufweisen.
Ein Wildschwein sucht nach Futter. Darunter fallen auch Pilze, die aufgrund der Tschernobyl-Katastrophe noch immer hohe Strahlenwerte aufweisen. © Oliver Berg/dpa

Eine weitere Option für mehr Sicherheit – neben Maß halten – ist, dass man von August bis Oktober kostenlos seine Pilze beim Umweltinstitut testen lassen kann. Rund 20 Sammler haben das bisher in der aktuellen, noch jungen Sammelsaison getan. Das hilft nicht nur dem Einzelnen. Die Daten werden anonymisiert auf der Homepage in einer interaktiven Karte eingepflegt. Dort kann jeder nachschauen, in welchem Gebiet er lieber nicht sammeln geht.

Wie Pilz-Sammler in Bayern eine "extra Strahlendosis" vermeiden können

Zum Beispiel sieht man dort im Umkreis von München, dass 2018 in Forstinning bei Rotfußröhrlingen "nur" 8,56 bq/kl CS-137 nachgewiesen wurden. Oder etwa, dass es 2017 bei Maronenröhrlingen in Bachhauserwies in Berg 387,39bq/kg Cs-137 waren.

Das Umweltinstitut weist in dem Zusammenhang daraufhin, dass sich die Werte nur langsam verändern, daher sei der angebotene Fünf-Jahres-Zeitraum eine gute Orientierung. So macht es Doerk selbst auch – er schaut auf die registrierten Werte in den jeweiligen Gebieten, um sich keine "extra Strahlendosis" im Körbchen mit nach Hause zu nehmen.

Die Strahlung erhöht das Risiko von Schilddrüsenerkrankungen dramatisch

Ein Blick in den Pilzbericht 2022 des BfS zeigt zudem, dass etwa in Schneizlreuth dunkelscheibige Schnecklinge mit über 1000 Bq/kg Cs-137 gefunden wurden, ebenso Elfenbeinschnecklinge. Der Rotbraune Semmelstoppelpilz war gleich an vier von insgesamt acht untersuchten Orten auffällig: Hochstadt, Aufham (Högl), Schneizlreuth und Bayerisch Eisenstein.

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Das Bundesamt für Strahlenschutz erklärt: "Cs-137 verhält sich im menschlichen Körper ähnlich wie Kalium. Es wird im Magen-Darm-Trakt fast vollständig resorbiert und im Körper annähernd gleichmäßig verteilt. Ein kleiner Teil des inkorporierten Cs-137 wird relativ rasch, der überwiegende Teil jedoch wesentlich langsamer wieder ausgeschieden." Bei Menschen, die als Kind rund um Tschernobyl lebten, ist die Zahl von Schilddrüsenerkrankungen deutlich erhöht. In welchem Maß die Krebsfälle in dem Zusammenhang stiegen, ist nicht abschließend geklärt.

Das Umweltinstitut München bietet von August bis Oktober an, Pilze, Waldbeeren und Wild kostenlos auf radioaktive Strahlung messen zu lassen. Dafür werden mindestens 150 bis 250 Gramm pro Pilz-, Beeren- oder Wildfleischsorte benötigt. Die Proben müssen demnach sortenrein sein und sollten möglichst genaue Angaben über Herkunft und Funddatum enthalten. Auf einer interaktiven Karte finden Interessierte die Messergebnisse der letzten Jahre.

Mehr Informationen: umweltinstitut.org

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3 Kommentare
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  • Unbesorgter Bürger am 27.08.2023 14:18 Uhr / Bewertung:

    Alle Jahre die selbe Laier. Ich sammel trotzdem und bin froh wenn ich ein paar besonders schöne Exemplare finde. Waldpilze schmecken einfach zu gut.

  • BBk am 27.08.2023 11:36 Uhr / Bewertung:

    Weil die Strahlenwerte ja schon so zurückgegangen sind, arbeitet Putin fleißig daran, durch geplante Explosionen von anderen Kernkraftwerken in der Ukraine bei uns wieder die Strahlenwerte zu erhöhen

  • am 27.08.2023 09:07 Uhr / Bewertung:

    Ja, da haben uns die Soviet-Ukrainer schön was hinterlassen traurig

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