Trophäen an der Wand
NÜRNBERG - Sehenswert: Die Großschau»Tier+Mensch« auf dem leeren Nürnberger AEG-Areal, wo sich nach dem Willen der Projektentwickler „mehr Leben, mehr Kunst“ entfalten soll
Das Eisbärbaby, das sich Flocke nannte, sieht man auch. Platt gedrückt zwischen Glasbausteinen starrt es mit seinen bunten Plüschgenossen als präpariertes Konsumterrorkommando aus der Vitrinenwand. Der Düsseldorfer Georg Wittwer, Meisterschüler bei Tony Cragg, nennt seine Arbeit „Die letzte Vielfalt“, weil diese im Kinderzimmer zu- und in der Natur abnimmt. Zwischen Plüsch und Blut, Schmusen und Grausen bewegt sich die ambitionierte Großschau „Tier + Mensch“, die sich passenderweise um ein verlassenes Gehege des Raubtierkapitalismus gruppiert. Eine Fertigungshalle auf dem leeren Nürnberger AEG-Areal, wo sich nach dem Willen der Projektentwickler „mehr Leben, mehr Kunst“ entfalten soll, wird zum Tiergarten zwischen Käfigzwang und Freiheitsdrang, Video und Installation, Ironie und Schock.
Geplant war dieser Schmausenbuck der Kunst, lange bevor die Welt zur Selbsthypnose mittels Bären-Anbetung schritt. Angesprungen sind Geldgeber auf die Ursprungsidee aber nicht, betonte Margit Mohr vom (halb-)privaten Projektkreis erneut. Symposium und Performances fielen aus Finanzgründen unter den Tisch. 63 Künstlern und 15 Außenorte (von der städtischen kunst galerie fürth bis zum Flughafen) samt BZ-Themenpaket als „Querschnitt“ durch ein unendliches, neurotisches Verhältnis bieten dennoch erschöpfende und einfallsreiche Fülle. Von den ästhetischen Vierhufern, die in Originalgröße den Biologiebüchern der historischen Expeditionsmaler entsprungen zu sein scheinen (in Fürth zeigt Gisbert Lange glatt einen Aquarell-Elefanten) bis zu Eberhard Weibles Schock-Fotos ist es ein weites Feld: Der kreiert zu Brathähnchen mutierte menschliche Körper als wären es verstümmelte Akt-Models. Und bandagierte Blutbälger lassen ruckartig die Lust an Fleischlosigkeit wachsen.
Meerschweinchen unter der Disko-Kugel
Hinten in abgedunkelter Videozone wieseln Meerschweinchen unter der Disco-Kugel als „Party Pigs“ (Peter Aerschmann), schleppen Schnecken Gartenzwerge ins Rasenmäher-Messer (Helmut Dick), beißen Hunde in die künstlichen Bratwurstfinger ihres verhaltensforschenden Herrchens (Daniel Mijic), verwüsten in „Perlen vor die Säue“ zwei leibhaftige Schweine eine auf Wohnzimmer umdekorierte Metzgerei (Filderbahnfreunde Möhringen).
Ein verführerisches blaues Meer aus 26000 Haribo-Haifischen
Davor hat Ulrich Möckel hölzerne Hörner wandhoch und imposant zu „Trophäen“ vereint (mit alter AEG-Leitplanke – das passt), vermenschelt Petra Schneider das Haustier in simulierten Fotos (ob Schimmel in der Badewanne oder Schaf auf dem Esstisch), hängt Katharina Büche unter dem Stoßseufzer „Ach. Leute!“ einen riesigen Felltropfen an einen Regenschirm und formt Dagmar Hugk aus 26000 Haribo-Haifischen ein verührerisch blaues Meer.
Im Gesamteindruck bleibt die große Halle schwierig: Trotz riesiger Arbeiten (wie Bela Faragos Nasenring-Nashorn zwischen absaufenden Ölbaronen) verschmelzen die Kunst-Tiere zur Herde. Der Auftakt im ersten Raum ist da viel stärker: mit Ping Qius Vogelkäfig-Symbolistik vor Industrie-Übrigbleibseln, mit Christian Rösners hölzerner Frau mit überlangem Schlangen-Arm und Axel Voss’ Verbotschilderwald für häufchenmachende Hunde. Vor dem Tor bläst Florentijn Hofman einen riesigen Plastik-Maulwurf auf, weil der das Menschenverständnis so schön untergräbt. Einem anderen Prototyp für einen 26 Meter großen Giganten begegnet man am Stadtpark-Weiher: Da lässt der Holländer eine gelbe Riesen-Ente treiben. Nürnberg – ein Platz für Tiere.
Andreas Radlmaier
Tier + Mensch (Muggenhofer Str. 135): Eröffnung heute (20 Uhr) mit OB Maly; bis 4. Mai, Di-Fr 17-20 Uhr, Sa 15-20 Uhr, So 11-18 Uhr
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