Triumph der Würde
Nürnberg - Mit „Rückkehr – Gemälde und Skulpturen von Vittore Bocchetta“ zeigt das Dokuzentrum eine Ausstellung zwischen Kunst und Dokumentation
Es ist eine grausame, unfassbare und wahre Geschichte, die sich an der Wand der kleinen Säulenhalle im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Zeichnungen abspielt. „10. September 1943 – verhaftet“ steht da unter dem ersten der 21 Blätter. Darauf ist ist der Italiener Vittore Bocchetta zu sehen, wie er von der Wehrmacht wegen seiner Tätigkeit im Widerstand in Verona festgenommen wird. Nach Verhören und Folter wird er in das Konzentrationslager Flossenbürg in der Oberpfalz transportiert. Dort erlebt Bocchetta die Grauen des KZ, sieht die „Muselmänner“ – so werden die Abgemagerten genannt, die bald sterben und dann in den Krematorien verbrannt werden.
Nach drei Wochen kommt er nach Franken – in das KZ-Außenlager Hersbruck. Das ist chaotisch organisiert – fast die Hälfte der rund 10000 Häftlinge stirbt an Hunger, Kälte, Krankheiten oder infolge der Gewalt der SS und der Kapos. Bocchetta überlebt dank eines Lagerarztes – und entkommt von einem Todesmarsch in Richtung Süden. Rund 40 Jahre später beginnt der Literaturwissenschaftler und Universitätsprofessor mit seinen Skizzen für die Zeichnungen, bereits in den 60ern widmet er sich verstärkt der Bildenden Kunst. In Chicago, wo er längere Zeit lebt, entstehen vier bis fünf Meter hohe Skulpturen im öffentlichen Raum. Aber mit den biografischen Zeichnungen, die die einzigen visuellen Überlieferungen aus dem KZ Hersbruck sind, fängt er erst 1986 an.
Ab Donnerstagabend zeigt nun das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg die Ausstellung „Rückkehr – Gemälde und Skulpturen von Vittore Bocchetta“. Sie soll nach dem Willen der Macher auch eine andere Art der Erinnerung an das Geschehene vermitteln, eine neue Auseinandersetzung anregen. Sie ist aber auch – durch die Wahl des einschüchternden Ortes der Ausstellung – ein kleiner Triumph der Kunst Bocchettas über die Täter, die entmenschlichen wollten – schließlich wurde die Kongresshalle nicht zu dem Zweck gebaut, darin die Bilder ehemaliger KZ-Häftlinge zu zeigen.
Gerade die elf Ölgemälde zeigen immer wieder den Menschen im Mittelpunkt. Scheinen die Skulpturen, etwa die Balletttänzerin, weit entfernt vom Alltag im KZ, so hat Bocchetta die damalige Todesnähe stetig in seinen Bildern verarbeitet. Man sieht inmitten farbiger Architektur graue Menschen, gebeugt, gekrümmt, oft ohne Gesichter. Dabei wäre es grundfalsch, den heute 92-Jährigen, stilistisch der Moderne zuzuordnen, allein als KZ-Opfer und nicht als Künstler zu begreifen. Denn in seinen Bildern erstrahlt trotz der Vereinzelung der Menschen das, was die Nazis ihm und den anderen KZ-Gefangenen nehmen wollten: Würde. mm
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