Traumjob Totengräber
Als ihr Großvater stirbt, fasst Anna einen Entschluss: Sie will Bestatterin werden. Heute lernt die 21-Jährige am weltweit einzigen Ausbildungszentrums des Gewerbes in Franken
Von Christoph Landsgesell
Es ist ein warmer Tag, das macht die Arbeit für Anna und die anderen leichter. Die Erde hat sich gelockert, die Spaten gleiten in den Untergrund. Eineinhalb Meter tief, zwei Meter lang, einen Meter breit – ein Grab nach Vorschrift. Beerdigt wird hier niemand, heute nicht und auch nicht in den nächsten Tagen. Das machen sie in Münnerstadt ein paar Meter weiter, auf dem Friedhof.
Das Areal, auf dem Anna und ihre elf Kollegen heute lernen, mit Baggern und Spaten das perfekte Grab zu schaufeln, dient bloß der Übung. Es ist Teil des weltweit einzigen Ausbildungszentrums für Bestatter. Aus ganz Deutschland kommen jedes Jahr 500 Lehrlinge nach Münnerstadt, einem Ort mit 8000 Einwohnern in Unterfranken. Sie lernen Grabtechnik, den Bau von Särgen, Trauergespräche, die Versorgung von Toten und Särge aufzubahren. Dann sind sie „geprüfte Bestatter“.
Das ist Annas Traumberuf, seit sie fünfzehn Jahre alt ist. Damals starb ihr Großvater, zum ersten Mal hatte Anna mit dem Tod zu tun. Und war fasziniert. „Meine Oma hat sich damals so merkwürdige Fragen gestellt“, sagt sie. Ob ihr Großvater auch wirklich in dem Sarg liegt und die Kleidung trägt, die sie für ihn ausgewählt hat. Anna verstand nicht, wollte es genauer wissen und machte ein Praktikum in einem Bestattungsunternehmen.
Jetzt ist Anna 21, im zweiten Lehrjahr und verdient rund 450Euro. Auf den Ausbildungsplatz musste sie lange warten, denn die Plätze sind begehrt. Fragt man die Lehrlinge in Münnerstadt, wieso sie sich ausgerechnet für diesen Beruf entschieden haben, bekommt man meist eine Antwort: die Vielfältigkeit. Bestatter sind Verkäufer, Handwerker und Tröster zugleich.
Im Werkraum schießen die Tackernadeln ins Holz. „Noch eine halbe Stunde“, hallt es über die Arbeitsbänke. Dann muss der Sarg fertig sein. Je vier Lehrlinge stehen um eine Kiste aus Fichtenholz, Füße und Beschläge haben sie schon angeschraubt, den Innenraum ausgepolstert. Jetzt fehlt nur noch die Spitzenborte. Die Teilnehmer kommen aus Husum, Gelsenkirchen, Wuppertal. Sie lachen, und wären die meisten nicht schon über 20, könnte man meinen, dass sich eine Schülergruppe auf Klassenfahrt in eine Schreinerei verirrt hat.
Ein bisschen locker müsse es schon zugehen, sagt Rosina Eckert. Sie leitet das Ausbildungszentrum seit der Eröffnung im Jahr 2005. Finanziert wird es von der Bundesrepublik Deutschland und dem Freistaat Bayern aus EU-Fördermitteln. Man entschied sich damals für Münnerstadt, weil der Lehrfriedhof schon in den 90er Jahren vom Bestatterverband Bayern gekauft wurde. Sonst gibt es hier nicht viel: hübsche Fachwerkhäuser, einen historischen Stadtkern, viele leere Schaufenster.
Die Totengräber sind ein Segen für den Ort und die strukturschwache Region. Wer aus Husum oder Gelsenkirchen für einen zweiwöchigen Kurs kommt, übernachtet entweder im Gästehaus oder in einem der Hotels. Die Gesamtkosten trägt der Betrieb.
40 Dozenten unterrichten, sie sind Bestatter, Anwälte, Floristen, Psychologen, es gibt eine eigenen Kantine. Das Geschäft mit dem Tod läuft gut, die Termine im Ausbildungszentrum sind ausgebucht. Den Lehrberuf „Bestattungsfachkraft“ gibt es erst seit 2003. Zwar reicht in Deutschland theoretisch ein Gewerbeschein, um als Bestatter zu arbeiten. „Aber die Konkurrenz ist groß im Gewerbe, ohne Qualifikation kommt man da nicht weit“, sagt Rosina Eckert. Bestatter gibt es genug, Tote nicht.
Mit den leblosen Körpern umzugehen, auch das steht in Münnerstadt auf dem Lehrplan. Der beißende Geruch der Desinfektionsmittel mischt sich mit süßlicher, dumpfer Verwesung. Die Lehreinheit „Hygienische Versorgung Verstorbener“ findet in einem mit weißen Fliesen gekachelten Raum statt. Die Stahltische, auf denen die Toten gewaschen werden, sind blank gewienert. „Wenn wir hier unterrichten, versuchen wir, immer einen Verstorbenen zu bekommen“, sagt Rosina Eckert. Was dann passiert, hängt von den Toten ab. Eine Frau, die zu Lebzeiten nie ungeschminkt aus dem Haus ging, bekommt ein allerletztes Make-up. Bei Unfallopfern müssen offene Wunden genäht werden. Soll der Leichnam im Ausland begraben werden, müssen ihn die Bestatter mumifizieren. Sie pumpen das Blut aus dem Körper, ersetzen es durch eine chemische Substanz und entfernen den Mageninhalt. Das macht den Leichnam mehrere Wochen haltbar. Dafür haben sie in Münnerstadt hier ein spezielles Gerät, auf das man im Ausbildungszentrum besonders stolz ist, denn es schafft zwei Tote auf einmal.
Die Einbalsamierung muss sein bei dem griechischen Dachdecker. Er ist bei seiner Arbeit vom Dach gefallen. Genickbruch, Tod. Jetzt soll er in seinem Heimatland beerdigt werden. Genau so hat Dozent Gerald Arnold, Bestatter aus Magdeburg, den Fall erlebt und ihn mit einer Gruppe Lehrlinge durchgespielt. Das Beratungsgespräch ist eine der wichtigsten Aufgaben für die Bestatter, gleichzeitig eine, die viel Sensibilität erfordert. Arnold bringt den Auszubildenden in Rollenspielen bei, wie ein Bestatter seinen Kunden richtig informiert. Dass man im Fall des Dachdeckers für die Auslandsüberführung einen hermetisch abgeschlossenen Zinksarg braucht, die Berufsgenossenschaft über den Unfall informiert und den Angehörigen die Vorschriften des Konsulats erklären muss. Dass es in Deutschland verboten ist, die Urne mit nach Hause zu nehmen. Dass man den meist orthodoxen Griechen eine Einäscherung gar nicht vorzuschlagen braucht, weil sie beerdigt werden. So will es die Religion.
Anna hat jetzt Mittagspause, sie sitzt vor der Akademie in der Sonne. Zuhause verstehen viele nicht, warum sie Bestatterin werden will. Hier ist das nicht so. „Keiner ekelt sich vor meinem Beruf, keiner hat Vorurteile“, sagt Anna. „Jeder“, sagt sie, „verdient doch eine würdevolle Bestattung.“ Früher hatte sie Angst vor dem Tod. „Die habe ich überwunden.“ Schließlich ist der Tod ihr Geschäft. Eines, das man lernen kann, wie hier, in Münnerstadt. Ein Ort, der ohne seine Totengräber ziemlich einsam wäre.
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