Trauer um Sepp Daxenberger: Der Che vom Chiemgau

Er war ein leidenschaftlicher Politiker und ein zäher Kämpfer. Doch jetzt hatte er keine Kraft mehr. Drei Tage nach dem Tod seiner Frau erlag Sepp Daxenberger mit 48 seiner Krankheit
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Sepp Daxenberger hat die Bühne verlassen.
dpa Sepp Daxenberger hat die Bühne verlassen.

MÜNCHEN - Er war ein leidenschaftlicher Politiker und ein zäher Kämpfer. Doch jetzt hatte er keine Kraft mehr. Drei Tage nach dem Tod seiner Frau erlag Sepp Daxenberger mit 48 seiner Krankheit

Er hat immer an das Unmögliche geglaubt: Wer einmal die CSU besiegt hat, der gibt den Kampf gegen den Krebs nicht auf. So lautete das Credo von Sepp Daxenberger (48). Sieben lange Jahre stemmte er sich mit aller Kraft gegen den Morbus Kahler, die seltene Mischung aus Blut- und Knochenkrebs – und verlor doch. „Es gab Tage, da hab’ ich mir gedacht, wenn ich jetzt einschlafe und nicht wieder aufwach’, dann wär’s mir auch recht“, gestand er im Herbst der AZ. Am Mittwoch war vielleicht ein solcher: Um vier Uhr morgens hörte sein Herz auf zu schlagen. Seine Mutter und seine Schwester waren bei ihm, als er starb. Zehn Stunden, bevor seine Frau Gertraud (49) zu Grabe getragen wurde. Sie war am Sonntag an Brustkrebs gestorben.

Mit seiner Krankheit konnte er ja umgehen. Die behandelte der Sepp geschäftsmäßig, als wäre sie ein politischer Gegner. Er ließ es nicht zu, dass sie sein Leben aus den Fugen brachte. Aber die Krankheit seiner Frau traf ihn tief in seiner Seele.

Erst war die Familie noch optimistisch, als bei Gertraud Daxenberger im Januar 2009 Brustkrebs diagnostiziert wurde . „Den kann man ja heilen“, analysierte der Politiker sofort. Im Gegensatz zu seiner Krankheit. Die war unheilbar und allerhöchstens zu stoppen. Im Sommer ging es Gertraud wieder besser. Der Brustkrebs schien nach einer Chemotherapie überstanden. Dafür ging es dem Sepp immer schlechter. Nur noch eine neue Therapie konnte ihm helfen. „Das ist die letzte Patrone“, musste er erkennen.

Über Weihnachten wuchsen seine Krebszellen wieder schneller. Fünf Tage kämpften die Ärzte um sein Leben. Dann die niederschmetternde Nachricht: Bei Gertraud Daxenberger ist der Brustkrebs mit aller Wucht zurückgekehrt.

Das tragische Schicksal seiner Familie versuchte Daxenberger aufzuarbeiten, so wie er es immer getan hat: Er redete darüber. Im April erzählte er der AZ von der Krankheit seiner Frau. Nur daheim sei das Thema tabu. Da machten sie lieber Zukunftspläne, wollten die zehn Milchkühe abschaffen und auf Mutterkuhhaltung umstellen, weil das weniger Arbeit sei. Vielleicht hätte der Sepp lieber den Mund halten sollen. Seine Frau war aufgebracht. Sie wollte ihre Krankheit nicht öffentlich ausgebreitet haben. „Das ist meine Krankheit“, beschied sie ihrem Mann. „Mit deiner Krankheit kannst du machen, was du willst.“ Damals dachte er noch, er könnte es packen.

Gerade war der Fraktionschef der Grünen in den Landtag zurückgekehrt. Die Politik war sein Lebenselixier. Daxenberger stürzte sich in die Arbeit, wollte sich nicht schonen und mutete sich zu viel zu. Er musste wieder in die Klinik. Acht Wochen später, im Juni, gab er sein Amt schließlich doch auf. Blieb einfacher Abgeordneter und wollte sich um seine Frau und die drei Buben Felix, Kilian und Benedikt, 20, 17 und 12 Jahre, kümmern.

Die drei Buben, die jetzt binnen drei Tagen gleich beide Eltern verloren haben. Oma und Opa kümmern sich um sie, Sepps Eltern (68 und 70), die mit auf dem Hof wohnen.

„Wenn es um Leben und Tod geht, darf die Politik nicht mehr an erster Stelle stehen, dann gibt’s nur noch die Familie“, hieß es bei den Grünen beim politischen Abschied. Daxenberger wusste, dass die Tage jetzt gezählt sind.

Vor zwei Wochen war klar, dass es mit Gertraud jeden Tag zu Ende gehen konnte. Sie sollte daheim auf dem idyllischen Bio-Bauernhof der Familie in Waging am See sterben. Von ihren Geschwistern und Freundinnen wurde sie liebevoll gepflegt. Daxenberger ließ sich vom Klinikum rechts der Isar ins Krankenhaus Traunstein verlegen, um näher bei seiner Familie zu sein, damit die Söhne und seine Mutter nicht mehr bis nach München fahren mussten.

In diesen schweren Stunden schloss er mit seiner Partei ab und auch mit seinen politischen Freunden. Er, der 1962 auf die Welt gekommen war, als die CSU bei der Landtagswahl 47,5 Prozent erreicht und von da an in Bayern allein regiert hatte – 46 Jahre lang. Nur zu gerne hätten die Christsozialen einen wie den Daxenberger Sepp in ihren Reihen gehabt. Einen Parade-Bayern, 1,90 Meter groß, gelernter Schmied und Bio-Bauer. Ein Mannsbild wie aus dem Bilderbuch.

Schon Ende der 70er-Jahre hatte die Junge Union angefragt, ob er nicht mitmachen wollte. Damals war der Sepp gerade 16 und hatte ein „Forum Ökologie“ mitbegründet. Eigentlich sah er sich da noch als „Graswurzelrevolutionär“, der parteifern die Leute „von unten aufklären wollte“. Dann machte er lieber bei den Grünen mit. Er wurde zum Che Guevara aus dem Chiemgau. Zum Rebellen, bei dem manche in Waging am See die Straßenseite wechselten, wenn sie den grünen Revoluzzer daher kommen sahen. Jahre später wählten sie ihn zu ihrem Bürgermeister. Ausgerechnet im schwärzesten Teil Bayerns wurde Daxenberger mit 34 Jahren der erste grüne Bürgermeister, der unbestrittene Star der Ökopartei und einer der beliebtesten Politiker Bayerns.

Als er jetzt auf der Palliativstation des Traunsteiner Krankenhauses lag, wollte er keine Anrufe und keine Besuche mehr von seinen Parteifreunden. Und schon gar keine Beileidsbezeugungen zum Tode seiner Frau. Der Politik-Junkie hatte abgeschlossen mit seinem Leben. Ein Leben zwischen Triumph und Tragik.

Angela Böhm

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