Tod auf den Gleisen: "Ich habe sie so oft gewarnt"
Vanessa (13) und Nicole (16) sitzen am Bahndamm und unterhalten sich, als ein Zug sie erfasst. Vanessas Großvater zündet am Unglücksort eine Kerze an – er kann den Verlust nicht fassen
Memmingen - Ein Meer aus roten Kerzen und Blumen bedeckt den Boden vor dem Brückenpfeiler. „Hier neben den Schienen haben die Mädchen gesessen, sich miteinander unterhalten”, sagt Vanessas Großvater und zeigt auf den Bahndamm. Die Regionalbahn nach Augsburg hat Vanessa (13) und Nicole (16) erfasst, gegen den Betonpfeiler geschleudert und getötet.
Vanessas Großvater kämpft mit den Tränen, als er am Sonntagmorgen an genau der Stelle eine Kerze niederlegt, an der seine Enkelin und deren beste Freundin starben. Freunde der beiden Schülerinnen waren die ganze Nacht hier, hielten unter der Autobahnbrücke Totenwache am Lagerfeuer.
„Mein Opili hat Vanessa mich immer genannt”, erzählt der Großvater. „Ich kann nicht fassen, dass ich sie nie wieder sehe, sie nie wieder in die Arme nehmen kann.” Vanessas Eltern ließen sich früh scheiden. Sie wuchs bei Oma und Opa auf – Luftlinie keine 300 Meter entfernt von der Stelle, an der sie am Freitagnachmittag starb.
„Nici und ich treffen uns mit Freunden”, hatte sie sich vom Großvater verabschiedet. „Ich hab’ sie so oft gewarnt, sie sollen vorsichtig sein, wenn sie zur Brücke gehen”, erzählt er. „Nichts hat es genützt.” Vanessa und Nici haben sich oft an der Unterführung der A7 getroffen. Die Mädchen unterhielten sich dann über Jungs, über die Schule, Musik und über ihrer Träume, was sie noch alles erleben wollten. Stunden haben sie so gemeinsam zugebracht.
Am liebsten saßen Vanessa und Nicole am Bahndamm. So sind sie auch auf Fotos zu sehen, die Freunde zur Unglücksstelle brachten. Auf einem sitzt Vanessa auf einer Schiene und raucht eine Zigarette. Ein anderes Foto zeigt Nicole, wie sie mitten auf dem Gleis spaziert. Die Fotos sind kaum ein halbes Jahr alt.
Die Bahnstrecke Lindau – Memmingen ist nicht besonders stark befahren. Aus der Nachbarschaft laufen deshalb viele einfach übers Gleis, wie an den ausgetretenen Trampelpfanden zu erkennen ist. Die Warnschilder, die alle paar Meter stehen, beachtet niemand. Selbst nach dem Tod der beiden Mädchen laufen Anwohner wieder über die Schienen. Die Züge fahren deshalb an der Unglücksstelle nur mehr mit Schrittgeschwindigkeit.
„Als es passierte, saßen Vanessa und Nicole am Bahndamm, mit dem Rücken zu den Schienen”, berichtet der Großvater. „Die Mädchen waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie die Regionalbahn nicht bemerkten. Der Lärm oben von der Autobahn hat alles übertönt”, vermutet der Großvater.
Der Lokführer des Triebwagens konnte die Mädchen in der dunklen Unterführung nicht erkennen. Er spürte nicht einmal, als die Bugschürze seines Zugs die Teenager erfasste und gegen den Brückenpfeiler schleuderte. Erst im Bahnhof Buchloe erfuhr er von der Tragödie.
Freunde fanden gegen 17.30 Uhr die Mädchen. Vanessa war tot, Nicole atmete noch. Ein Freund rief den Rettungsdienst. Sekunden Später raste ein Notarztwagen los.
„Ich habe das Martinshorn gehört”, erzählt Vanessas Großvater. Er saß gerade auf dem Balkon, las ein Buch und dachte, es habe auf der Autobahn wieder einmal gekracht. Nie wäre er darauf gekommen, dass seine Enkelin das Opfer sein könnte.
Eine Stunde später klingelte es an seiner Haustür. Es waren die Freunde von Vanessa. Sie erzählten, dass die 13-Jährige einen Unfall hatte und tot sei. „Ich habe nicht oft in meinem Leben geweint”, erzählt der Großvater mit leiser Stimme, „aber in diesem Moment konnte ich die Tränen einfach nicht mehr zurückhalten.”
Gerüchte machten wenig später in Memmingen die Runde: Die Mädchen seien Opfer eine Mutprobe geworden. Ein Schulfreund behauptet, Vanessa und Nicole hätten ein Foto schießen wollen, das sie zeigt, wie sie knapp vor einem herannahenden Zug übers Gleis laufen. Dieses Foto, so heißt es, hätten sie angeblich bei einem Gewinnspiel einschicken wollen. Beweise dafür gibt es nicht, betonte am Sonntag ein Polizeisprecher.
Auf den Handys der Mädchen wurden keine entsprechenden Fotos gefunden. Auch bei denen ihrer Freunde war nichts gespeichert. „Bei so einem Blödsinn hätte Vanessa nie mitgemacht sagt ihr Großvater: „Sie war nicht so leichtsinnig wie manche anderen Mädchen in ihrem Alter.”
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