Titanen-Therapie im Schlaf-Labor
Das Tanzstück „El sueño de la razon“ bietet bei der Premiere im Nürnberger Opernhaus starke Bilder, wundervolle Choreographien – und gleich sieben Goyo Monteros auf einen Streich
Der Maler Goya und der Musiker Beethoven, zwei auf höchstem Niveau gescheiterte und nebenbei auch noch an Napoleon verzweifelte Revolutionäre ihrer Zunft, treten im Opernhaus zur Gruppentherapie an. Sie haben sich gleich zu Beginn vervielfältigt, liegen Spalier auf dem Rücken, und kehren am Ende nach 19 tiefgründelnden Assoziations-Kapiteln im unkontrollierbaren Zustand „zwischen Schlafen und Wachen“ wieder in diese Ausgangsposition zurück – als ob die Welt nicht aus den Fugen sei. Denn der „Traum der Vernunft“, in den der Nürnberger Ballettchef Goyo Montero mit seiner bisher ehrgeizigsten Uraufführung „El sueno de la razon“ eintauchte, gebiert nicht Ungeheuer, sondern Theater – aber das ist streckenweise ungeheuer eindrucksvoll. Das Premierenpublikum war von der dunklen Poesie dieser Körperwelten hellauf begeistert.
Inspiration vom Original
Es geht natürlich nicht um den Transport biografisch exakter Informationen bei dieser gefühlten Verbrüderung von Bild und Klang. Auch wenn Texte von Goya und Beethoven, überwiegend Zitate aus wehklagenden Briefen, an Verständnisbrücken bauen, holen die Szenen ihre Inspiration umwegfrei aus der Kunst der beiden Titanen.
Der siebenfache Montero
Der fleißige Goyo Montero, der von der Idee über die Choreographie und die Ausstattung bis zum Lichtdesign alles unter Kontrolle hält (und folglich seinen Namen auf dem Besetzungszettel für sieben Funktionen nennen lässt), lädt seine Phantasie stilgerecht an den Originalen auf. Zwischen einem schwebenden Marionettenmenschen und dem gespenstischen Todesmarsch, den auch Tadeusz Kantor angezettelt haben könnte, gibt ein praktisches Baukasten-System mobile Gelegenheiten für attraktives Choreographen-Buildering. Und mag die Radikalität, die er in Goyas Kunst beschwört, letztlich nicht Monteros Sache sein, er findet suggestive Bilder eigener Art, die hinter einem Soft-Schleier mit Geheimnissen winken.
Wallende Vorhänge, aufgebäumte Schattenspiele, schwebende Maskeraden und Bewegungs-Artistik am Gummiband – alles ist möglich, und von allem etwas weniger wäre fast noch besser.
Ein bisschen zuviel Hektik
Im Umgang mit Beethovens Musik (Hitkonserven-Häppchen von Lang Lang, Barenboim und Gould) ist Montero nicht ganz geschmackssicher, sonst hätte er auf die Vertanzung des subtilen „Fidelio“-Quartetts „Mir ist so wunderbar“ verzichtet. Hektisches Zappeln kann bei dieser perfekt ausgeloteten Gefühlsbeschreibung nichts bewirken.
Geschickt eingefädelt
Doch das schadet der Aufführung, mit der sich Nürnbergs Ballettdirektor nach seiner kürzlichen Rückkehr auf die klassische Spitze nun also barfüßig beim „Tanztheater“ akkreditiert hat, nicht allzu sehr. Sie bietet mit ihrer Lust am geordneten Schau-Effekt einer hochmotivierten und bestens trainierten Compagnie alle Möglichkeiten, Talent zu zeigen. Zumal der Choreograph immer wieder wunderbar individuelle Figuren und maßgeschneiderte Pas de deux-Formate geschickt zur Kettenreaktion auffädelt.
Als sanfter Leitwolf des Kollektivs ist der wiedergekehrte Gastsolist Rafael Rivero ein sicherer Blickfang, der alle Energien jederzeit bündeln und wieder abstrahlen kann.
Das Erfolgsrezept des Ballettdirektors
Die Vitalität, die diese Aufführung antreibt, ist das Nürnberger Erfolgsrezept des Ballettdirektors, denn in der Vermittlung solcher Euphorie steckt die unwiderstehliche Kraft von Goyo Montero, die der Aufführung gewaltigen Beifall sichert. Auch nach Abzug aller Bravo-Hysteriker, die mit ihrer demonstrativen Schnellschuss-Begeisterung keine Rücksicht aufs Verglühen von Stimmungen nehmen, war das ein faszinierender, lange gefeierter Abend. Er wird es auch im Spielplan-Alltag bleiben.
Nächste Vorstellungen: 25./27.Juni und 1./3./6./9.Juli. sowie wieder ab 24.September. Karten: Tel. 01805/231600
- Themen:
- Ludwig van Beethoven