Tinder-Schwindel in Bayern: Betrüger verleiten zu Investment in Kryptowährungen

München - "There is no solution" – es gibt keine Lösung – waren die letzten Worte, die ein Mann aus Bayern an die Chatadresse einer gut aussehenden "Marina" irgendwo in der Welt schrieb. Kurz danach beging er Selbstmord.
"Marina" hatte ihn schrittweise um sein gesamtes Hab und Gut gebracht – und das allein durch virtuelle Internet-Chats.
Über 260 Fälle von Internet-Schwindel in Bayern
Das ist einer der krassesten von inzwischen 260 Fällen, die seit 2021 der "Zentralstelle Cybercrime Bayern" (ZCB) in Bamberg bekannt geworden sind. Die Strafverfolger erkennen darin eine neue Betrugsmasche, die in Internet-Singlebörsen und Sozialen Netzwerken seit Beginn der Pandemie um sich greift.
Dabei werden die Opfer vorwiegend auf der Plattform "Tinder" mit romantischen Süßholzraspeln geködert, um sie dann schrittweise um ihr Vermögen zu bringen, berichtete Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) am Mittwoch in München.
Neue Betrugsmasche in Bayern: "Tinder-Schwindel" mit Kryptowährungen
Im Gegensatz zum klassischen betrügerischen Cyber-Trading und anderen Tricks von Cyberkriminellen wird den Opfern – überwiegend Männer – keine mitleiderregende Notlage ihres Gegenübers vorgespiegelt, sondern ihnen vielmehr eine hoch lukrative Geldanlage versprochen.
Mit der Mischung von emotionaler Bindung und der Aussicht auf außerordentliche Gewinne gelingt es den Tätern, die Opfer zum Investieren mit Kryptowährung auf gefälschten Internetseiten zu bewegen. "Am Ende ist alles weg – das Geld und die Liebe", schilderte Eisenreich das Ergebnis.
"Tinder-Schwindel": 55 Anzeigen allein in diesem Jahr
Auf so etwas kann man doch eigentlich nicht hereinfallen, könnte man meinen, doch die Zahlen der ZCB sprechen eine andere Sprache: Seit 2021 sind dort 260 Anzeigen eingegangen, die dem Bereich "Tinder-Trading-Scam" oder kurz "Tinder-Schwindel" zugerechnet werden. Allein in diesem Jahr sind es bisher 55.
ZCB-Leiter Oberstaatsanwalt Thomas Goger vermutet eine hohe Dunkelziffer, weil viele Geschädigte aus Scham ihren Schaden für sich behielten. Durchschnittlich beläuft sich der Schaden pro Opfer auf stattliche 70.000 Euro. In zwei Fällen wurden die Geschädigten um jeweils mehr als eine Million Euro abgezockt.
Bisher konnte noch kein Schwindler in Bayern dingfest gemacht werden
Depressionen und Angstzustände veranlassten zwei Opfer zum Selbstmord. Doch die Täter stört die seelische Not ihrer Opfer nicht.
Sie teilen ihre Vorgehensweise nach den Erkenntnissen der Strafverfolger kühl in drei Phasen auf: "Finding the pig" (ein Schwein finden), "Fattening the pig" (das Schwein mästen) und "Butchering the pig" (das Schwein schlachten).
Goger musste zugeben, dass bisher noch kein einziger Schwindler dingfest gemacht werden konnte. Die meisten Vorgänge hätten Bezüge nach China, Hongkong und Südostasien, wo Rechtsersuchen deutscher Staatsanwaltschaften in der Regel kaum Folgen haben.
Aber die bayerischen Cybercrime-Staatsanwälte geben nicht auf. "Aussichtslosigkeit akzeptiere ich nicht", sagte Goger.
Opfer von "Tinder-Schwindel"? Jeder Fall sollte zur Anzeige gebracht werden
Auch bei der Betrugsform des Cyber-Tradings sei man inzwischen mit der Ermittlung von Tätern weiter vorangekommen, als Skeptiker dies vermutet hätten und so werde man früher oder später auch die Tinder-Schwindler aufspüren. Deshalb sollte jeder Fall zur Anzeige gebracht werden.
Fürs erste aber bleibt den Strafverfolgungsbehörden nur Aufklären und Warnen. Wenn eine romantische Internet-Affäre plötzlich geschäftlich wird, sollten sämtliche Alarmglocken schrillen, sagte Eisenreich. Erst recht gelte dies, wenn von astronomischen Profiten und Geldanlagen in Kryptowährung geredet werde.
Steckt organisierte Kriminalität hinter der neuen Betrugsmasche?
In einem Fall, der mit dem Suizid des Opfers endete, wurde die Verzehnfachung der Geldanlage innerhalb kurzer Zeit in Aussicht gestellt. Sehr verdächtig sei es auch, wenn der Partner ein persönliches Treffen immer wieder hinauszögert.
Nach den Informationen der ZCB werden die Betrugsmanöver weltweit von Callcenter-ähnlichen Betrieben abgewickelt, deren gut geschulte Beschäftigte ebenfalls ausgebeutet würden. Man geht davon aus, dass hinter der neuen Betrugsmasche regelmäßig Organisierte Kriminalität steckt.