Thorsten Glauber: Ökologische Vielfalt gibt es nicht zum Nulltarif

München - AZ-Interview mit Thorsten Glauber. Der Architekt (48) aus Pinzberg im Kreis Forchheim sitzt seit 2008 für die Freien Wähler im Landtag und ist seit November 2018 Bayerns Umweltminister.
AZ: Herr Glauber, im April erscheint das erste Buch der schwedischen Klima-Aktivistin Greta Thunberg. Werden Sie es lesen?
THORSTEN GLAUBER: Momentan ist meine Zeit sehr begrenzt. Ich komme häufig erst spät von Terminen zurück, da bleibt kaum Zeit zum Lesen. Prinzipiell ist es aber immer lohnenswert, das Buch einer jungen Frau zu lesen, die sich derart engagiert.
Sie gehören zu den wenigen Politikern, die den freitäglichen Klimastreik der Jugendlichen begrüßt haben, ohne im selben Atemzug auf die Schulpflicht zu pochen. Warum?
Ich habe lange als Dekanats-Vorstand Jugendarbeit gemacht und war später jugendpolitischer Sprecher im Landtag. Deshalb ist es für mich selbstverständlich, der Jugend zuzuhören. Denn genau das habe ich selbst als Jugendlicher bemängelt: dass man zu wenig gehört wird.
Hätten Sie auch die Schule geschwänzt, um politisches Gehör für einen besseren Klimaschutz zu finden?
Wahrscheinlich hätte ich eher für den Fußball geschwänzt (lacht). Ich war ein leidenschaftlicher Fußballer. Klar gilt die Schulpflicht. Aber tatsächlich finde ich es schade, dass wir im Moment so viel über Unterrichtsausfall und Schulpflicht diskutieren. Die Intention der Jugendlichen ist doch eine andere – und die gilt es für mich als Minister aufzugreifen.
Sie haben die Schüler zu zwei Klima-Konferenzen eingeladen. Ramona Wüst von "Fridays for Future" in München hat deutlich gemacht, dass sie sich nicht mit Absichtserklärungen zufriedengeben werden. Was wollen Sie den Jugendlichen anbieten?
Ich will mit ihnen darüber nachdenken, wie wir in Zukunft miteinander kommunizieren können. Dann sollen sie ihre Forderungen adressieren – und ich werde ihnen aufzeigen, welche Vorschläge wir haben, was möglich ist und welche Handlungswege begrenzt sind. Stichwort: Bundesrecht sticht Landesrecht. Die nächste Frage wäre: Was kann auch jeder Jugendliche selbst für den Klimaschutz tun? Wie sieht die nächste Urlaubsreise aus? Wie wär’s mal mit vier Wochen Verzicht auf Mofa oder Roller?

Und was antworten Sie, wenn die Jugendlichen Sie dann fragen, wie Sie es mit dem Klimaschutz halten? Man weiß, dass Sie ein Elektroauto fahren – und sonst?
Jeder kann sich engagieren. Ich zum Beispiel bin ein sportlicher Mensch und immer viel zu Fuß gegangen. Wir haben ein sehr nachhaltiges Haus: Es ist 50 Zentimeter dick gedämmt. Wir nutzen Sonnenenergie zur Warmwasseraufbereitung und erzeugen unseren Strom über Photovoltaik selbst. Außerdem bin ich keiner, der um die Welt jetten muss. Ich fahre in meiner Freizeit leidenschaftlich gerne Mountainbike, zuletzt im Zillertal.
Im Koalitionsvertrag wurde ein Klimaschutzgesetz vereinbart. Wie weit sind Sie damit?
Auf Bundesebene zeigt man sich in dieser Hinsicht etwas sperrig. Die Koalitionäre können sich nicht einigen, in welche Richtung es gehen soll. Deshalb muss man abwarten, welche Signale aus dem neuen Klimakabinett kommen. Denn wie schon gesagt: Bundesrecht sticht Landesrecht. Es ist nicht sinnvoll, dass wir ein bayerisches Gesetz erarbeiten und der Bund dann in eine ganz andere Richtung geht.
Es gibt aber schon einen entsprechenden Entwurf aus Ihrem Haus. Was steht da drin?
Richtig! Mit dem Entwurf wollen wir alle wichtigen Punkte aufgreifen. Mir ist dabei das Thema Gebäudesanierung, Dämmung und Minimierung der Prozesswärme sehr wichtig. In Deutschland werden über 50 Prozent der CO2-Emissionen durch Heizen und Wärme verursacht. Die genannten Maßnahmen sind vielleicht nicht besonders hip, aber effizient.
"Es ist nicht Aufgabe der Politik, Autos zu verkaufen"
Welche Rolle spielt der Verkehr im Gesetzentwurf?
Eine zentrale. Wir müssen ran an den ÖPNV, für den wir die Mittel im aktuellen Haushalt von 40 auf 100 Millionen angehoben haben. Es gibt das Ziel, ein 365-Euro-Ticket zu gestalten – keine leichte Aufgabe. Denn es wird dann einen Run auf den Nahverkehr geben. Man wird entsprechendes Wagenmaterial benötigen, eine engere Taktung. Aber es ist der richtige Weg.
Was ist mit den Autos?
Wir müssen über Antriebe sprechen! Wenn man in den 1990ern unterwegs war, fuhren bereits Autos mit Wasserstoffantrieb durch München. Die Stadtwerke hatten Wasserstoffbusse. Es gab Wasserstofftankstellen. Aber dann ging es nicht kraftvoll weiter. Im Jahr 2019 muss ich nach Autos mit solchen Antrieben quasi im Katalog koreanischer Hersteller suchen.
Man hatte bislang nicht unbedingt den Eindruck, dass die Politik sehr viel Wert auf die Entwicklung alternativer Antriebe gelegt hätte.
Es ist nicht Aufgabe der Politik, Autos zu verkaufen. Aufgabe der Politik ist es, den Rahmen zu setzen. Ich bin dafür, dass Antriebe erneuerbar und nachhaltig sind. Aber ich werde keinem Autobauer sagen: Nimm die Brennstoffzelle, Gasantrieb oder baue ein Elektro-Auto. Das ist deren Produktstrategie und Know-how. Politik sollte Ziele vorgeben, aber technologieoffen sein. Aber wir müssen noch mehr tun. Die Infrastruktur für Elektro-Fahrzeuge ist nicht mit der Diskussion mitgewachsen. Wir bräuchten viel mehr Gleichstrom-Ladesäulen. Da laden Sie 30 Minuten – und schaffen wieder 150 Kilometer. Stundenlang an der Tankstelle stehen – so funktioniert Mobilität nicht!
Zum Bienen-Begehren: Anfang der Woche hat der zweite Runde Tisch zum Artenschutz stattgefunden. Wie verlaufen die Gespräche aus Ihrer Sicht?
Die erste Runde war mehr ein allgemeines Kennenlernen. Jetzt hat man damit begonnen, in Sachfragen einzusteigen. Es ist mir wichtig, dass auch die Initiatoren verstehen, dass erfolgreicher Artenschutz breiter aufgestellt sein muss als im Volksbegehren. Artenschutz ist nicht allein Aufgabe der Landwirtschaft. Auch die Kirchen besitzen viel Grund, die Gemeinden, die Städte. Artenschutz geht alle an.
Wie sieht Ihr Wunschergebnis der Verhandlungen aus?
Mein Ziel ist ein Volksbegehren Plus. Der größte Erfolg für die Biodiversität wäre, wenn wir ein Netz mit drei Komponenten spannen könnten: Uferrandstreifen entlang der Gewässer, einen Saum um alle Waldränder und ein blühendes Band entlang des Straßennetzes. Das wäre ein Plus zum Gesetzentwurf des Volksbegehrens. Außerdem ist im Koalitionsvertrag verankert, zehn Prozent des Staatswaldes aus der Bewirtschaftung zu nehmen – auch das können wir hier aufgreifen. Genau wie das Thema Flächenverbrauch.
Beim Flächenverbrauch setzen Sie allerdings weiterhin auf Freiwilligkeit. Dieses Prinzip hat in den letzten Jahren nicht funktioniert. Wie wollen Sie die Kehrtwende schaffen?
Es gibt da verschiedene Ideen. Eine davon ist, dass Gemeinden Flächenverbrauchszahlen aufgrund von Einwohnerfaktoren bekommen. Oder über das Baurecht. Wir denken heute nur in die Fläche – warum nicht in die Höhe oder in die Tiefe? Stichwort: Wohnen über dem Supermarkt. Beim Baurecht hört dann übrigens auch die Freiwilligkeit auf.
Noch mal zurück zum Runden Tisch. Wie schwierig ist es für Sie zu verhandeln, wenn mit Ministerpräsident Markus Söder und ihrem Partei-Vorsitzenden Hubert Aiwanger Ihre Chefs mit am Tisch sitzen?
Alles gut!
Man hört allerdings, dass es einen gewissen Unmut darüber gab, dass Sie sich so schnell für Gewässerrandstreifen ausgesprochen haben.
18,3 Prozent der Bürger haben uns mit ihrer Zustimmung zum Volksbegehren einen klaren Auftrag gegeben – mitsamt Gewässerrandstreifen. Entweder nimmt der Landtag das Volksbegehren an, oder es kommt zum Volksentscheid. Deshalb behaupte ich: Über diese fünf Meter brauchen wir nicht zu diskutieren. Aber wir müssen uns am Runden Tisch Gedanken darüber machen, wie es für diesen Mehrwert an Biodiversität einen Ausgleich geben kann.
Hubert Aiwanger hat gefordert, man solle die Unterzeichner des Volksbegehrens dafür zur Kasse bitten. Sehen Sie das genau so?
Uns allen muss klar sein, dass es hohe ökologische Vielfalt nicht zum Nulltarif gibt. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wer auf seinen Flächen diese Leistung erbringt, muss dafür auch einen Ausgleich bekommen.
Eine andere Münchner Zeitung hat Sie und Hubert Aiwanger neulich den Söder und den Seehofer der Freien Wähler genannt. Planen Sie die Machtübernahme?
Hubert Aiwanger und ich kennen uns seit zwölf Jahren. Wir ringen um gute Lösungen. Und auch wenn das manche vielleicht nicht glauben: Wir telefonieren fast jeden Tag, manchmal mehrmals. Es ist eine gute Zusammenarbeit. Dass man um die beste Idee ringt, ist in der Politik enorm wichtig. Aber noch wichtiger ist: Wenn man gemeinsam Erfolg haben möchte, muss man loyal zueinander sein. Wir haben immer einen absolut fairen Umgang miteinander gepflegt und dafür bin ich dankbar. Und überhaupt: Jemanden hinterrücks zu stürzen ist nicht meine Art. Man muss Dinge offen miteinander austragen können und sollte keine anderen Wege wählen.
Jetzt haben Sie gerade Markus Söder vor das Schienbein getreten.
Nein. Sie hatten nach Herrn Aiwanger und mir gefragt.
Stimmt – und mit dem ringen Sie weiterhin um die Flutpolder. Er hat sie aus dem Koalitionsvertrag herausverhandelt, Sie wollen an ihnen festhalten. Wie ist der aktuelle Stand?
Wir haben von der TU München ein Flutpolderkonzept für Extremhochwasser und dessen Wirkungsweise erstellen lassen. Ein aktuelles Gutachten hat das Kabinett dazu veranlasst, daran festzuhalten. Für die Standorte bei Regensburg und den Standort Bertoldsheim werden jetzt vertiefte Untersuchungen hinsichtlich der Wirkungsweise vor Ort durchgeführt. Zudem soll das Thema Staustufenmanagement entlang der Donau miteinbezogen werden. Genauso wie die Möglichkeiten an den Gewässern vor Ort, das Wasser dort zurückzuhalten. Meine Aufgabe als Umweltminister ist es, diese Optionen zu bewerten.
Letzte Frage: Sie haben ein Faible für bunte Socken. Achten Sie darauf, wie Ihre Anziehsachen hergestellt wurden?
Ich lege schon Wert darauf, dass meine Kleidung soweit möglich bei uns produziert und verkauft wird. Mein Onkel ist Textilingenieur in Wangen im Allgäu und hat mich für dieses Thema sensibilisiert.