Terrorziel Atomkraftwerk: Wird Isar 1 bald vom Netz genommen?
MÜNCHEN - Geheime Dokumente belegen: Isar 1, der nukleare Reaktor bei Landshut, ist viel zu marode, um einen Terror-Anschlag zu überstehen. Thomas Maxhofer klagt vor Gericht: Isar 1 soll geschlossen werden.
Wenn Thomas Maxhofer aus dem Fenster schaut, sieht er die rauchenden Kühltürme. Mit seiner Frau und drei Kindern lebt er in der Nähe von Landshut, 15 Kilometer entfernt vom Atomkraftwerk Isar 1. Terroristen, glaubt er, könnten ein Flugzeug entführen und auf den Atomreaktor stürzen lassen. Bis vor ein paar Jahren war Maxhofer selbst Pilot, flog Passagiermaschinen. Er sagt: „Ein Terroranschlag auf das Atomkraftwerk wäre möglich.“ Die Folgen wären fatal. Auch für München.
Deshalb hat Maxhofer beim bayerischen Umweltministerium Klage eingereicht: Er will, dass Isar 1 vom Netz geht. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace fordert, dass sechs weitere alte Atommeiler abgeschaltet werden. Wie groß die Risiken eines Terroranschlags sind, wurde bisher verschwiegen. Doch jetzt tauchen geheime Unterlagen auf, die die strahlende Gefahr dokumentieren.
Warum wurde die Bedrohung verschwiegen?
Die geheimen Daten: Eine Untersuchung, die die Landtage von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen im November 2002 in Auftrag gaben, kommt zum Ergebnis: „Ein gezielter Anflug des Reaktorgebäudes ist möglich.“ Bei dem Aufprall eines Flugzeugs auf ältere Meiler sei mit „schweren bis katastrophalen Freisetzungen radioaktiver Stoffe zu rechnen“. Isar 1 wird hier als besonders gefährdet erwähnt. Eine „bauliche Ertüchtigung ist aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nicht machbar bzw. nicht sinnvoll“. Isar 1, das 1971 den Betrieb aufnahm, hat im Vergleich zu modernen Reaktoren eine zu schwache Wandstärke.
Selbst die Landtage wussten nichts davon, aber zumindest Wilhelm Dietzel (CDU), von 1999 bis 2009 hessischer Umweltminister. Im Bericht steht außerdem: „Die Gutachten wurden wegen der o.g. Brisanz als vertraulich eingestuft und sind nur einem beschränkten Mitarbeiterkreis zugänglich, nicht jedoch der Öffentlichkeit (auch nicht dem Landtag).“
Warum? 2002 war CSU-Politiker Werner Schnappauf bayerischer Umweltminister und damit zuständig für die AKW. Er sagt dazu nichts. „Herr Schnappauf wird nicht dafür bezahlt, sich zu Dingen zu äußern, die damals passiert sind“, sagte ein Sprecher des Bundesverbands der Deutschen Industrie, dem Schnappauf mittlerweile vorsteht. „Die bayerischen Kernkraftwerke entsprechen hohen Sicherheitsstandards und werden laufend überprüft“, erklärt eine Sprecherin des bayerischen Umweltministeriums.
"Ein unglaublicher Skandal"
Die Terrorgefahr: „Die Bevölkerung ist einem tödlichen Risiko ausgesetzt, dem sie nicht entkommen kann“, sagt Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace. „Es ist ein unglaublicher Skandal, dass die Beauftragten, die ein Gutachten schreiben, die Ergebnisse nicht mitteilen.“
Eine Woche nach den Anschlägen auf das World Trade Center kam das Bundeskriminalamt (BKA) zu der Ansicht, dass „Einrichtungen der Wirtschaft, der Regierung und der Landesverteidigung mit höchster Symbolkraft getroffen werden sollten“ und deshalb „Anschläge gegen Kernkraftwerke bislang nicht im Bereich des Wahrscheinlichen“ liegen. Bislang.
Denn 2007 änderte das BKA seine Meinung. Ein Anschlag auf deutsche Atomkraftwerke müsse in Betracht gezogen werden, da die „symbolbezogene Anschlagskomponente zugunsten bloßer Vergeltung aufgegeben worden sein könnte“. Fazit: Die Wahrscheinlichkeit von Terror-Anschlägen auf AKW sei zwar als „gering anzusehen, muss aber in Betracht gezogen werden“.
Die Klage: 2008 urteilte das Bundesverwaltungsgericht, dass mögliche Opfer terroristischer Angriffe gegen Atomkraftwerke klagen können. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte den Beschluss im Januar 2009. Vorher war es für Anwohner überhaupt nicht möglich, sich zur Wehr zu setzen. „Durch dieses Urteil sind die Chancen auf eine erfolgreiche Klage erheblich gestiegen“, sagt der Atomrechtsexperte Gerhard Roller von der Fachhochschule Bingen. „Es gibt ausreichend Stoff, das Gericht wird sich damit auseinandersetzen müssen.“ Rechtsanwalt Günther Wollenteit schätzt die Chancen seines Mandanten Maxhofer als gut ein: „Es sind alle Voraussetzungen erfüllt, die nötig sind, um ein Atomkraftwerk abzuschalten. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Klage Erfolg hat.“
Die Reaktionen: Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin fordert die Abschaltung der sieben Atomkraftwerke: „Die Werke sind gegen Anschläge von Terroristen nicht ausreichend geschützt und sollten sofort vom Netz genommen werden.“ Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) räumte ein, AKW könnten „grundsätzlich zu einem Angriffsobjekt von Terroristen werden“. Er schätzt die Gefahr aber als „eher gering“ ein.
Christoph Landsgesell