Tausende Nürnberger Kinder haben nichts zu essen

Bittere Armut, Verwahrlosung, Unterernährung: Das Schicksal von Lisa (10) aus Fürth ist kein Einzelfall
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Sie versorgt Tausende junge Nürnberger: Ursula Pfeiffer.
bayernpress.com Sie versorgt Tausende junge Nürnberger: Ursula Pfeiffer.

Bittere Armut, Verwahrlosung, Unterernährung: Das Schicksal von Lisa (10) aus Fürth ist kein Einzelfall

NÜRNBERG/FÜRTH Das schlimme Schicksal der kleinen Fürtherin Lisa (10), die in desolaten Verhältnissen aufwächst und oft mit leerem Magen aufstehen und ins Bett gehen muss, ist ein Extremfall. Aber es ist kein Einzelfall. 18.000 bis 20.000 Kinder gelten allein in Nürnberg als arm, so die offiziellen Zahlen des Referats für Jugend, Familie und Soziales. Zahlen, wie viele von ihnen so arm sind, dass sie Hunger leiden müssen, existieren nicht. Aber es müssen Tausende sein...

Etwa 2400 Nürnberger und Fürther Grundschul- und Kindergartenkinder profitieren von der Arbeit der Vereine „Lobby für Kinder“ und „Mahlzeit“. Täglich. Die gemeinnützigen Vereine versorgen sie mit Frühstück und warmen Mittagessen. Dass es viel mehr bedürftige Kinder gibt, in Kindergärten, Grund- und Hauptschulen, weiß Ursula Pfeiffer, Vorsitzende der „Lobby für Kinder“. Und: Es werden immer mehr. „Es gibt immer mehr alleinerziehende Mütter, immer mehr Verwahrlosung, immer mehr Alkohol- und Drogenmissbrauch in Familien. Ursula Pfeiffer kennt schockierende Fälle wie den der kleinen Lisa zuhauf. Deren Mutter hat „die ganze Schwangerschaft durchgesoffen“, wie es ein Mitarbeiter des Fürther Jugendamts drastisch formulierte, und die sich auch heute lieber eine Flasche Wein kauft, als der Tochter etwas zu essen. Etwa der Fall eines rückenkranken Zehnjährigen aus der Nürnberger Südstadt, dessen Mutter Geld für alles Mögliche hat – bloß nicht für eine neue Matratze. Oder unzählige Fälle von Jugendlichen, die nie gelernt haben, wie man Nudeln oder Kartoffeln kocht.

Viele Hunger-Kinder sind dick

Es ist eine Mischung aus materieller Armut und seelischer Verarmung. Cornelia Rust-Bulmahn leitet die Hannoveraner Organisation „Hilfe für hungernde Kinder“. Sie kümmert sich nicht etwa um Waisen in Afrika – sondern um die skandalösen Zustände in unserer vermeintlichen Wohlstandsgesellschaft. „Selbst wenn Eltern vernünftig haushalten und ihr Arbeitslosengeld nicht versaufen, ist in vielen Hartz IV-Familien zum Monatsende der Kühlschrank leer.“ Eine Erhebung des Vereins ergab, dass in Niedersachsen jedes sechste Kind buchstäblich Hunger leidet – in Bayern und Nürnberg dürften es nicht viel weniger sein. Erstaunlich: Hunger-Kinder sind oft dick. „Manche Eltern speisen sie auf die Schnelle mit billigen, ungesunden Kohlehydraten ab, etwa Weißbrot“, weiß Rust-Bulmahn.

Was Kinder-Körper wirklich brauchen – Vitamine, Eiweiße – bleibt außen vor. „Man sieht solchen Kids das Problem oft schon an der Nasenspitze an“, sagt die Expertin. Wegen des geschwächten Immun-Systems tropft die nämlich häufig.

Dass im Fall der kleinen Lisa das Fürther Jugendamt bagatellisiert und abwiegelt, hält Ursula Pfeiffer, die Lobbyistin für Kinder, für einen „Skandal“. Die Lösung könnte so einfach sein, durch die Patenschaft einer besser geordneten Familie etwa. Solange die Verantwortlichen das Problem aber unter den Teppich kehren, müssen Lisa und ihre Tausende Schicksalsgenossen weiter leiden.

Steffen Windschall

Diese Vereine helfen Hunger-Kindern: www.lobby-fuer-kinder-nuernberg.de, www.mahlzeit-fuer-kinder.de

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