Tapfere Eltern pflegen ihre Tochter seit über 50 Jahren
Edith (54) kam mit Down-Syndrom zur Welt. Mutter Edith (77) und Vater Hans (87) haben ihr Leben auf die Tochter eingestellt.
GLEIRITSCH Edith aus Gleiritsch in der Oberpfalz liebt Puppen und Stofftiere. Sie bevölkern in ihrem Zimmer die ganze Couch und zwei Sessel. Edith bleibt immer bei ihnen, sie hat keinen Blick für die grünen Bäume und die blühenden Blumen vor dem Fenster übrig – sie lebt hier in ihren kleinen Welt, sie sitzt den ganzen Tag auf dem Bett. Edith kam mit dem Down Syndrom zur Welt. Das war vor 54 Jahren. Seitdem kümmern sich die Eltern um das Zweitälteste von fünf Kindern. Es ist ein Leben für Edith. Inzwischen ist Mutter Edith Nübler 77 Jahre, ihr Mann Hans 87. „Wenn wir nicht mehr unseren Auftrag erfüllen können, dann werden ihn die Geschwister übernehmen. Die lieben Edith genauso wie wir.“
Als 1955 nach dem Sohn ein Mädchen zur Welt kam, waren die Nüblers glücklich. Sie hatten sich so sehr eine Tochter gewünscht. Edith bekam den Namen der Mutter. Doch schon nach wenigen Wochen fiel dem Ehepaar auf, dass ihr Baby anders ist. Der Arzt beruhigte. Erst nach vier Monaten offenbarten die Mediziner die Diagnose: Down-Syndrom.
Menschen mit Down-Syndrom haben in jeder ihrer Zellen ein Chromosom mehr als andere, nämlich 47 statt 46 Chromosomen. Das Chromosom 21 ist dreimal vorhanden. Die geistigen Fähigkeiten dieser Kinder weisen eine enorme Streubreite auf. Sie reicht von schwerer Behinderung bis zu fast durchschnittlicher Intelligenz. Oft haben die Kleinen Herzfehler, Magen- und Darmstörungen oder Veränderungen am Skelettsystem. Das blieb Edith Nübler erspart.
Doch sie hat nie gelernt zu sprechen, kann nicht laufen. Ihr einfaches Leben folgt ganz strengen Regeln. Morgens isst sie immer drei verschiedene Sorten Brot mit Wurst, Käse und Marmelade und dazu ein weich gekochtes Ei. Zweimal täglich muss sie massiert werden. Sie trägt auch tagsüber nur Schlafanzüge, und wenn sie darauf einen Fleck entdeckt, dann zieht sie ihn aus, knüllt ihn zusammen und schaut ihre Mutter so lange an, bis sie einen frischen bekommt: „Wütend wird Edith nie. Sie ist übergeduldig.“
Immer zu bestimmten Zeiten wird Edith ins Bad gebracht, um auf die Toilette zu gehen. Um dort hin zu kommen, wird sie von Papa und Mama gestützt. „Edith hat ihren genauen Ablauf. Einmal musste mein Mann ins Krankenhaus. Deshalb kam meine Nachbarin, um mir beim Tragen zu helfen. Doch Edith hat sich gewehrt“, erzählt Edith Nübler. Mehrere Versuche schlugen fehl – erst am nächsten Morgen ging die Tochter mit.
„Sie ist so lieb, sie ist so dankbar, sie ist ein wunderbares Kind!"
Ansonsten verlässt Edith ihr kleines Reich so gut wie nie. Am liebsten spielt sie mit ihren Puppen und blättert in einem Hochglanz-Modekatalog. „Sie ist so lieb, sie ist so dankbar, ein wunderbares Kind – einfach zum Liebhaben“, schwärmt ihre Mutter, die nach Edith noch vier gesunde Kinder zur Welt gebracht hat. Eins starb drei Wochen nach Geburt an einer Nabelinfektion.
Dass noch ein zweites behindert sein könnte, davor fürchtete sich Edith Nübler nicht. Doch als die Enkelkinder unterwegs waren, „da hatte ich wahnsinnige Angst. Zum Glück sind alle gesund“. Heute kommen in Deutschland 1200 Down-Kinder auf die Welt, in Früherkennungsuntersuchungen kann die Krankheit schon in der Schwangerschaft erkannt werden – eine Abtreibung wäre legal.
„Selbst wenn ich damals die Möglichkeit gehabt hätte, hätte ich das Kind haben wollen. Edith ist für uns ein Geschenk.“ Andrea Uhrig
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