Staatsanwalt jagt Nürnbergs letzten Kriegsverbrecher
Adolf S. (88) soll an Massaker in Italien beteiligt gewesen sein. Dort wurde er schon verurteilt - zu lebenslanger Haft und Zahlung von zehn Millionen Euro.
NÜRNBERG Das düsterste Kapitel in seinem Leben hat den Nürnberger Rentner Adolf S. (88) nun doch noch eingeholt! Mehr als 60 Jahre nach seiner Beteiligung an einem fürchterlichen Massaker der Wehrmacht in Italien ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Soldaten einer SS-Einheit – wegen Massenmordes! Hunderte von Zivilisten, darunter Babys, Kinder, schwangere Frauen und alte Männer, sollen von seiner Einheit im September 1944 in den Bergen bei Bologna bestialisch umgebracht worden sein.
Telefonisch ist Adolf S. nicht zu erreichen. Und er reagiert auch nicht auf Briefe und Zettel, die im Briefkasten seiner Wohnung in der Nürnberger Nordstadt landen. „Manchmal kommt er vorbei und leert ihn aus“, hat eine Nachbarin beobachtet. Sie vermutet, dass er jetzt bei einer Freundin lebt, die er während eines Kuraufenthaltes kennengelernt hat. „Doch genau weiß ich es auch nicht. Ich habe ihn schon längere Zeit nicht mehr gesehen“, sagt sie. Über den leicht gehbehinderten, aber geistig rüstigen Mann weiß sie so wenig wie alle anderen in dem Mehrfamilienhaus. „Unauffällig“ lautet das übereinstimmende Etikett, das ihm seine Nachbarn ankleben.
10.000 Menschen brutal ermordet
Gianfranco Lorenzini dagegen wird heute noch von den schrecklichen Szenen überwältigt, die er als 13-jähriger Junge aus einem Versteck heraus miterleben musste. Wie deutsche Soldaten die Bewohner des Bergdorfs San Martino aus den Häusern trieben und dann erschossen. Zunächst die alten Männer, dann die Kinder. Auch Gianfrancos drei Jahre alte Schwester gehörte zu den Opfern. Sie wurde in die Luft geworfen und dann von einer Maschinengewehrgarbe zerfetzt. Danach waren die Frauen an der Reihe, darunter auch seine Mutter. Sie wurde erst vergewaltigt, dann erschossen.
An den grausamen Massakern in den Bergdörfern rings um Marzabotto, denen rund 10.000 Menschen zum Opfer fielen, war auch die „16. Panzergrenadier-Division Reichsführer SS“ beteiligt. Adolf S. aus Nürnberg gehörte dieser Einheit an. Er und neun andere ehemalige „Kameraden“ wurden im vergangenen Jahr von einem italienischen Gericht zu lebenslanger Haft und Zahlung von zehn Millionen Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt – in Abwesenheit.
Die deutsche Justiz kam dem Auslieferungsersuchen der italienischen Behörden wie in solchen Fällen üblich nicht nach. „Wir haben aber selbst ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet“, erklärte der Münchner Oberstaatsanwalt Anton Winkler.
In Nürnberg sind nach Auskunft der Justiz keine weiteren Verfahren gegen Kriegsverbrecher mehr anhängig. Das letzte wurde im Jahr 2000 eingestellt. Es richtete sich gegen Anton R. aus Erlangen, der in Italien an der Erschießung von Geiseln beteiligt gewesen sein soll. Der Ehrenvorsitzende eines Sportvereins starb kurz vor Erhebung der Anklage.
Helmut Reister