Sprung von der Bettkante
NÜRNBERG -Nürnberger Broadway-Linie: Am Opernhaus wird „Sweet Charity“ als turbulente Tanz-Revue mit gebremster Erotik mit viel Beifall aufgenommen.
Sie macht es für Geld! Mit Männern!! Stundenweise!!! Ja was eigentlich? Bei „Sweet Charity", der goldherzigen Titelheldin in Cy Colemans gediegen vorgestrigem Broadway-Musical um die tanzbaren Seiten der „Körpervermietung", muss man sich um die Keuschheit nicht allzu sehr sorgen. Denn wo die Branchen-Kolleginnen Irma la Douce und Pretty Women schon mal berufsbedingt Hand anlegen, springt sie der Sünde beinchenschmeißend davon, flüchtet von der Bettkante in den Kleiderschrank und betreut ihre Kavaliere pflegeschwesterlich. Das Club-Girl von der Stange ruft nach dem „Big Spender", greift aber schon beim kleinen Glück daneben. Am Opernhaus ist das eine dreistündig gedehnte Tanz-Revue mit Gefrier-Erotik, in der die Pointen von Neil Simon wie Kamellen fliegen.
Wie im Vorjahr „Silk Stockings" nach Lubitschs „Ninotschka" beruft sich auch „Sweet Charity" auf einen großen Film. Doch Fellinis „Nächte der Cabiria" sind in Bob Fosses Comedy-Spektakel, dem die Inszenierung von Stefan Huber treu ergeben bleibt, hinterm glitzernden Bonbonpapier verschwunden. Hatte das Shirley McLaine in der Verfilmung mit ihrem Special-Charme bravourös ausgeglichen, war Dagmar Koller einst bei der deutschen Erst-Adaption ins Leere gelaufen.
Das ist in Nürnberg glücklicherweise so nicht passiert, denn Frederike Haas kann (wie wir aus zwei Fürther Produktionen der Schaumschlag-Sparte wissen) eine ganze Menge. Sie hat den gewissen Swing in Kehle und Kniekehle. Zurück zu Fellinis Manegenwelt der traurigen Clownspoesie, wie es Bühnenbildner Harald Thor mit der Zirkusarena als Start und Ziel der Butterfahrt durchs Innenleben suggeriert, findet „die kleine Verrückte“ allerdings bei burschikos gradeaus gespielter Charakteristik nicht. Denn das Stück hat wenig zu erzählen, es schafft sich bloß Anlässe für Showeffekte.
In solchem Rahmen kommen Knatter-Typen immer am besten weg – Klischee-Parade also von Alen Hodzovic über Stefanie Dietrich bis Cedric Lee Bradley, der als durchgeknallter Erweckungsprediger in der „Kirche des Monats“ seine versprengte „Hair“-Truppe befehligt und damit absahnt – obwohl die Szene absolut überflüssig ist.
Drumherum schnurrt die Revue dahin, unfallfrei und absolut clean. Die Mixtur aus angemieteten Spezialisten und der hauseigenen Tanztruppe funktioniert. Der Choreograph Markus Buehlmann reißt die Initiative immer wieder an sich, sollte aber zur Auflockerung seiner technischen Perfektion mal einen Besuch bei der angekündigten „Gruppe der enthemmten Menschen“ erwägen. Kai Tietje lenkt als Zirkuskapellmeister der mit Bigband-Blut gedopten Philharmoniker den Sound und die übersichtliche Zahl der Ohrwürmer angemessen schmissig unter erfreulicher Ignorierung der Uniform.
Warum die süße Charity am Ende nicht einfach heiraten darf – am liebsten bitte schon nach zwei Stunden – kann die Aufführung auch nicht erklären. Da drängt sie plötzlich aus dem Joke in die gefakte Wahrhaftigkeit, nachdem ein jämmerlicher Liebhaber die Freuden der Unschuld angemahnt und die Flucht vor der Ehe ergriffen hat. Dann aber schnell nochmal: Animation Marsch!
Der Beifalls-Reflex kam zuverlässig. Unter den applaudierenden Zuschauern waren auch die „Geschwister Pfister“ – vielleicht die nächsten Kandidaten für den Nürnberger Broadway. Dieter Stoll
Nächste Vorstellungen: 1., 3. und 7. März sowie weitere 15 Vorstellungen bis 30. Mai