Spielbanken-Skandal: Die verhängnisvolle Affäre der Bayernpartei

Heute vor 60 Jahren endet der Prozess um den Spielbanken-Skandal – der die Menschen im Freistaat bewegt und das Land verändert hat.
Karl Stankiewitz |
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So berichtete die AZ 1959 über die Plädoyers der Staatsanwaltschaft.
AZ-Archiv So berichtete die AZ 1959 über die Plädoyers der Staatsanwaltschaft.

Am Donnerstag vor 60 Jahren endet der Prozess um den Spielbanken-Skandal – der die Menschen im Freistaat bewegt und das Land verändert hat.

Ungeheuerliches war geschehen: Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte nach 1870 hat ein hochrangiges Gericht einen – wenn auch nicht mehr amtierenden – Staatsminister am 8. August 1959 zu einer Zuchthausstrafe verurteilt und stehenden Fußes verhaften lassen.

Dies war das für die junge Demokratie erschütternde Ergebnis eines Prozesses, der die politische Landkarte Bayerns nachhaltig verändert hat: Seither wurde der Freistaat nur noch von – bisher neun – Ministerpräsidenten der CSU regiert. Und deren damals stärkste Konkurrenz, die Bayernpartei, die einmal mit 27 Prozent Wählerstimmen im Landtag saß, schrumpfte zur Splitterpartei und blieb es bis heute.

Skandal um Spielcasinos

Vor der 2. Strafkammer des Landgerichts München ging es damals um Vorfälle, die sich vor und nach der Zulassung von drei – von der Vier-Parteien-Koalition 1955 mit knapper Mehrheit gegen die noch oppositionelle CSU durchgeboxten – Spielcasinos hinter den Kulissen abgespielt hatten.

Es ging um Prozente und Scheinverträge und um unzweideutige Versuche einiger Bewerber, über politische Mittelsmänner ins große Geschäft mit der rollenden Kugel einzusteigen.

Vor allem ging es um viel Geld. Doch wie viel ist viel? "Fünfzigtausend Mark sind doch ein ganz normaler Verschleiß," meinte ein Zeuge treuherzig. "Das ganze Theater kostete mich 170.000 Mark," bekannte der in Bad Kissingen zum Zug gekommene Hauptbetreiber Siegfried Simon Gembicki; 15.000 Mark habe er allein für ein "Künstlerfest" ausgegeben, an dem zufällig auch der Kissinger Oberbürgermeister, CSU-Mitgründer und spätere Senatspräsident Hans Weiß teilnahm.

Kasino-Kandidat brachte Affäre durch Selbstanzeige ins Rollen

Die Ansprechpartner dieser Herren saßen vier Wochen lang verbittert auf der Anklagebank: Professor Dr. Joseph Baumgartner, 54, Mitgründer der Bayernpartei (BP), stellvertretender Ministerpräsident bis 1957; Dr. August Geislhöringer, 74, Bankdirektor, BP-Schatzmeister, Innenminister der Koalition von SPD, BP, FDP und Block der Heimatlosen und Entrechteten; Max Klotz, 40, Wetterdiensttechniker, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der BP; Franz Michel, 50, ehemaliger Abgeordneter und Schatzmeister der CSU.

Neben den Politikern saß der Kasino-Kandidat Franz Freisehner, 56; der hatte im Januar 1959 durch Selbstanzeige "aus Gewissensnot" gewissermaßen den Stein ins Rollen gebracht.

Wie sich der Konkurrenzkampf um bayerische Roulettes abspielte, hatte der Vorsitzende im Untersuchungsausschuss, der SPD-Abgeordnete und spätere Bundesrichter Martin Hirsch schon vor dem Prozess klargemacht: "Wir wissen doch alle, dass im Spielbankgeschäft raue Sitten herrschen und man sich hier bisweilen bis aufs Messer bekriegt hat." Die gerichtliche Verhandlung erhellte die Sittengeschichte noch krasser.

"Der Kleine hat mich angeschmiert"

Da stellte sich also heraus, dass der "bayerische Löwe" Baumgartner, dem die früheren Parteifreunde von der CSU kaum weniger "zwider" waren als die "Kartoffel-Preußen", öfter in der Villa des gelernten Metzgers Freisehners zu Gast war, wo er gern dessen Kühlschrank und Swimmingpool nutzte ("Gebt’s ma a Badhosn, sonst spring i nackert nei"). Dabei hatte er unter Eid behauptet, diesen Mann nur beiläufig gekannt zu haben. Seine Unterschriften auf Quittungen bezeichnete er als Fälschungen.

Dass Freisehner am Ende doch keine Lizenz bekam, begründete dieser als einziger Nichtpolitiker auf der Anklagebank so: "Der Kleine hat mich angschmiert." Er meinte den 1,52 Meter großen Geislhöringer, Kleinlaut erzählte der Minister, der bayerisch-preußische Ehen mal als "a Bluatsschand" angeprangert hatte, "jemand" habe ihm auf der Toilette eines feinen Restaurants ein Sparbücherl mit 10.000 Mark "für die Parteikasse" in die Gesäßtasche gesteckt, das er aber empört zurückgegeben habe. Klotz schließlich soll dem Weiß zwei Spielbank-Vorverträge zur Unterschrift vorgelegt und bemerkt haben: "Es fallen 20.000 Mark ab."

Woher genau das viele Geld stammte und ob es tatsächlich der heiß begehrten Konzession diente, das konnte weder im Landtag noch im Landgericht eindeutig geklärt werden. Auch andere Vorgänge, insbesondere die angeblich von CSU-Granden manipulierte "Meineidsfalle", blieben im Dunkeln.

Schuldsprüche wegen Meineid

Die Urteile des Vorsitzenden Richters Paul Wonhas – ein früherer NS-Kriegsrichter – sorgten für Aufsehen: Zwei Jahre Zuchthaus für Baumgartner, ein Jahr und drei Monate für Geislhöringer, zwei Jahre und neun Monate für Klotz, zehn Jahre für Michel, ein Jahr und zehn Monate für Freisehner. In allen Fällen lautete der Schuldspruch auf vollendeten Meineid bei diversen Aussagen im Untersuchungsausschuss.

So berichtete die AZ 1959 über die Plädoyers der Staatsanwaltschaft.
So berichtete die AZ 1959 über die Plädoyers der Staatsanwaltschaft. © AZ-Archiv

"Ein typischer Schauprozess," rief Michel zornig aus der Anklageloge. "Erschüttert" äußerte sich die Bayernpartei, die dann schnell dahinschwand. "Kein Ruhmesblatt für die bayerische Justiz," urteilte Ministerpräsident Professor Wilhelm Hoegner (SPD), der 1957 von allen Partnern verlassen zurücktrat.

Der Bundesgerichtshof ordnete denn auch neuerliche Verhandlungen an. Die führten bei Geislhöringer zu einer Strafminderung mit Bewährung. Baumgartner indes erlebte keine Revision mehr, weil er einem Schlaganfall erlag.

Sein Sarg stürzte kopfüber ins Grab – ein Menetekel für seine Anhänger, die ihm zum 40. Todestag in seinem Heimatdorf Sulzemoos ein Denkmal errichteten mit der Inschrift: "Treu zum Land, treu zu Wahrheit und Glauben." Bayerns toter Märchenkönig ließ grüßen.


Der Beitrag verwendet Texte aus dem Buch "Keiner will schuld sein" (edition buntehunde) und "Weißblaues Schwarzbuch (Volk Verlag) von Karl Stankiewitz.

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