SPD-Mitglieder wählen die neuen Vorsitzenden
München - Karl Lauterbach und Nina Scheer sind die Letzten. Vielleicht liegt es daran, dass Autogrammjäger den bekannten Gesundheitspolitiker (diesmal ohne die sonst typische Fliege) und seine Mitbewerberin um den SPD-Vorsitz vor dem Eingang zum Löwenbräukeller abgepasst haben. Mit ihnen ist das Gruppenfoto zur 23. Regionalkonferenz der Genossen komplett.
Wer wird neuer Vorsitzender der SPD?
Die letzte Vorstellungsrunde führt die Anwärter auf den SPD-Chefposten nach München – "neben meinem Wahlkreis die schönste Stadt Deutschlands: schönes Wetter, toller Oberbürgermeister, toller Fußballverein", wie Generalsekretär Lars Klingbeil den mehr als 1000 Besuchern zur Eröffnung zuruft.
Am Ende der Veranstaltung werden von den anfangs 17 Kandidaten nur mehr sechs Pärchen geblieben sein – und Olaf Scholz schaut ein wenig betrübt drein.
Hilde Mattheis und Dierk Hirschel: Rückzug
Denn der Vormittag beginnt mit einem Rückzug: Die Parteilinke Hilde Mattheis und Verdi-Chefökonom Dierk Hirschel verkünden, nicht mehr antreten zu wollen. Es ist ein taktisches Manöver. "Es gibt vier linke Teams", sagt Hirschel mit Blick auf sich selbst und die Konkurrenz. "Das sind drei zu viel." Weil man es nicht geschafft habe, sich auf eine linke Spitzenkandidatur zu einigen, machten Hilde Mattheis und er nun den Weg frei.
Denn auch die Bundestagsabgeordnete Scheer und Fraktionsvize Lauterbach, NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans und die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Saskia Esken, sowie Partei-Vize Ralf Stegner und Mitstreiterin Gesine Schwan, vertreten linke Positionen.
Sie alle hadern mit der GroKo, doch kein Tandem ist dabei so radikal wie Scheer und Lauterbach. Norbert Walter-Borjans – der sich durch den Ankauf sogenannter Steuer-CDs bundesweit einen Namen gemacht hatte – etwa sagt, er finde, "wir müssten manchmal mit dem Koalitionspartner so kantig umgehen, wie miteinander." Lauterbach kontert: "Es ist nicht unsere Aufgabe, mit dem Koalitionspartner anders umzugehen." Das habe keinen Zweck. "Wir müssen den Koalitionspartner wechseln."
Er und Scheer wollen die Mitglieder über ein Ende der GroKo abstimmen lassen und sich dann auf die Suche nach neuen, linken Bündnispartnern machen. In München erhalten die beiden immer wieder viel Applaus.
Dasselbe gilt allerdings für Stegner und Schwan, die sagt: "Wir werden unabhängig sein und nicht mal dem heiligen Kevin gehorchen." Eine Anspielung auf Juso-Chef Kühnert, die für heitere Reaktionen sorgt. Später, als ein SPD-Mitglied nach der Integration von Behinderten fragt, wird die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission sehr ernst und fast ein bisschen philosophisch. "Inklusion", sagt Schwan, "ist im Grunde genommen der Testfall für die Menschlichkeit der Gesellschaft." Wieder erntet sie lauten Applaus.
Olaf Scholz ist SPD-Gesicht der Groko
Vize-Kanzler Olaf Scholz, der gemeinsam mit der Brandenburger Landtagsabgeordneten Klara Geywitz kandidiert, gibt an diesem Morgen in München den Staatsmann. Mit Blick auf den Anschlag in Halle wandte er sich entschieden gegen Antisemitismus und die AfD. "Wir müssen auf die hinweisen, die als Brandstifter jetzt auch in den deutschen Parlamenten sitzen." Ein stärkerer gesellschaftlicher Zusammenhalt sei aber nur mit der SPD zu haben. Weil das Kabinettsmitglied Scholz vielen frustrierten Genossen als "Weiter so"-Kandidat gilt und zudem die Halbzeitbilanz abwarten will, um über die Zukunft der GroKo zu entscheiden, fällt der Beifall für ihn eher artig aus.
Doch auch, wenn viele bayerische Genossen – gemessen an den Reaktionen im Löwenbräukeller und der Ausrichtung der Landespartei – wohl für ein linkes Duo stimmen werden, zählen Beobachter Scholz und Geywitz zu den Favoriten.
Eher Außenseiter-Chancen werden dem jüngsten Duo zugestanden, das jedoch für einen echten Neuanfang stünde: der NRW-Landtagsabgeordneten Christina Kampmann (39) und Europa-Staatsminister Michael Roth (49). Sie zeigen sich dynamisch, wollen Verkrustungen in der Partei aufbrechen, wären eine Spitze ohne Abnutzungserscheinungen. Und sie zeichnen eine Utopie für das Jahr 2030, falls sie zu SPD-Vorsitzenden gewählt werden: "Im Jahr 2030 finden auch der Erzieher und die Handwerkerin in München eine bezahlbare Wohnung – und in Großbritannien stimmt eine Labour-Regierung für den Wiedereintritt in die EU." Das kommt an.
Am Ende dieser letzten Regionalkonferenz, nach 23 Stationen, 8.000 Kilometern quer durch Deutschland und 500 Publikumsfragen, werfen die Kandidaten große weiße Ballons mit der Aufschrift "#UnsereSPD" in den Saal. Die Message ist klar: Jetzt liegt der Ball bei den Parteimitgliedern, die ab heute über ihre neuen Vorsitzenden abstimmen.
Lesen Sie den AZ-Kommentar: Am Ende bleibt Hoffnung