SPD-Debakel bei der Landtagswahl: Notausgang als Neuanfang

München/Berlin - Am Tag nach dem Wahldebakel der bayerischen SPD mehren sich die internen Stimmen, die personelle Konsequenzen fordern – und ein Ende der Zusammenarbeit mit der Union in der Großen Koalition auf Bundesebene. (Der AZ-Newsblog zur Landtagswahl in Bayern zum Nachlesen)
Nachdem der Münchner Bundestagsabgeordnete Florian Post noch am Wahlabend verlangt hatte, Bayern-Chefin Natascha Kohnen solle ihren Posten räumen, sagte am Montag auch der SPD-Landtagsabgeordnete Florian von Brunn zur AZ, der Landesvorstand müsse die politische Verantwortung für den Absturz auf 9,7 Prozent übernehmen: "Wir brauchen eine Neuwahl des Landesvorstands." Das beträfe auch von Brunn selbst. Der stellvertretende Chef der Münchner SPD ist Beisitzer.
Zudem müsse jetzt – wie Natascha Kohnen schon gesagt habe – alles auf den Prüfstand. "Unser Programm, unser Wahlkampf und die Frage: Sind wir zu viel mit uns selbst beschäftigt?", sagt von Brunn. Doch das allein reiche nicht. Nachdem Horst Seehofer (CSU) sich darauf festgelegt habe, Bundesinnenminister bleiben zu wollen, müsse die SPD außerdem die Groko verlassen, fordert von Brunn: "Mit Horst Seehofer werden die Konflikte immer weitergehen." (Lesen Sie hier: So steht's bei der CSU am Tag danach)
Krammer: "Querschüsse helfen uns nicht weiter"
Bayerns Jusos sind derselben Ansicht. "Diese Koalition zu beenden, ist der einzig logische Schluss", sagt die Landesvorsitzende Stefanie Krammer mit Blick auf das Wahlergebnis der Freistaat-SPD. Krammer: "Nur so können wir uns voll und ganz auf die Aufarbeitung der Ergebnisse und den Erneuerungsprozess konzentrieren. Abstruse Personaldebatten und Querschüsse helfen uns nicht weiter."
Auf Bundesebene ziehen einige dieselben Schlüsse aus der bayerischen Bruchlandung. "Da muss sich etwas gravierend ändern, wenn diese Regierung Bestand haben soll", sagte Partei-Vize Ralf Stegner am Montag. Die Wähler in Bayern hätten "zur Arbeit der Berliner Groko ein sehr negatives Urteil gesprochen".
Ähnlich äußerte sich Juso-Chef Kevin Kühnert. Allerdings: Intern wird in der Berliner Parteispitze auch von einer "großen Enttäuschung" über Kohnen gesprochen. Es ist noch nicht lange her, dass Kohnen SPD-Chefin Andrea Nahles in der Maaßen-Affäre öffentlich zur Kurs-Korrektur aufgefordert hatte.
Nahles: "Als SPD stehen wir zusammen"
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus klingt das am Montag freilich ganz anders – und ganz solidarisch. "Als SPD stehen wir zusammen, auch nach so einer Niederlage", sagt Nahles. Das schlechte Bild der Bundesregierung habe dazu beigetragen, dass Themen, die den Menschen wichtig sind, nicht durchgedrungen seien, gesteht sie ein.
Natascha Kohnen sagt, man sei geschlossen wie nie gewesen, aber auf eine unglaublich große Skepsis gestoßen – auch wegen der Berliner Bleiweste. Alles hängt nun daran, ob Thorsten Schäfer-Gümbel am 28. Oktober in Hessen einen Machtwechsel oder eine Regierungsbeteiligung erreicht. Bei einer weiteren Pleite könnten Nahles als Parteichefin und die Groko vor Weihnachten Geschichte sein.
Entscheidend für Natascha Kohnen wird außerdem sein, ob sie im Landesvorstand noch eine Mehrheit hinter sich vereinen kann. Das ist alles andere als sicher. Da die SPD aber im Umgang mit ihren Chefs nicht ganz so resolut umgeht wie etwa die CSU, sind andere Szenarien denkbar: So könnte sich etwa der gesamte Landesvorstand auf einem Sonderparteitag zur Neuwahl stellen, wie es Florian von Brunn vorschlägt.
Rinderspacher kandidiert nicht mehr als Fraktionschef
Gegen die Lösung spricht, dass es bis dahin eine monatelange Hängepartie geben könnte. Alternativ könnte der Vorstand Kohnen auch drängen, ihr Amt vorher zur Verfügung zu stellen. Sie selbst hat schon vor der Wahl angekündigt, keine vorschnellen Entscheidungen treffen zu wollen. Wie auch immer die anstehende Aufarbeitung ausgeht, am Ende steht fest: Die in Natascha Kohnen gesetzten Erwartungen aus der eigenen Partei konnte sie nicht erfüllen.
Leckte sich die leidgeprüfte SPD schon 2013 mit rund 20 Prozent nach der Wahl die Wunden, steht der Name Kohnen nun neben dem schlechtesten Ergebnis, dass die Genossen je in einem Bundesland eingefahren haben. Es ist nicht nur das zumindest vorläufige Ende des eigenen Anspruchs einer ganzen Volkspartei, sondern die Niederlage einer Frau, die im Mai 2017 den Mumm hatte, sich einer kaum erfolgversprechenden Mission zu stellen.
Ein anderer zog gestern bereits personelle Konsequenzen: Markus Rinderspacher, seit 2009 Fraktionschef im Bayerischen Landtag, will nicht mehr für dieses Amt kandidieren. Die Fraktionsdebatte über eine neue Orientierung der SPD solle "vorurteilsfrei, klaren Blickes und ungeachtet des Ansehens von Einzelpersonen stattfinden können", schrieb er in einem Brief an die Genossen. Er wolle den Weg freimachen für einen Neuanfang.