SOS Wirtschaftswarntag in München: So wurde der eher kleine Unternehmer-Protest in Szene gesetzt
München – Heftig zerrt der Wind an Eva Vesterlings schwarzem Mantel, als sie von "stürmischen Zeiten" in Deutschland spricht. "Doch pünktlich zu unserer Versammlung ist die Sonne rausgekommen!", verkündet die Landesvorsitzende der bayerischen Familienunternehmer feierlich.
Sie spricht auf einem flachen Podest vor einer Menschentraube, die einheitlich gestaltete Plakate in Schwarz-Rot-Gold, in Rosa-Weiß oder Rosa-Rot über ihre Köpfe hält. Auf denen stehen die immergleichen Sprüche: Etwa "Hohe Energiekosten kosten Jobs", "Hohe Steuern kosten Jobs" oder "Ohne Wirtschaftswachstum gibt's keine sicheren Arbeitsplätze".

"SOS Wirtschaftswarntag" auch in Hamburg, Stuttgart und Berlin
Rund 100 Menschen haben sich in Winterjacken eingepackt auf dem Esperantoplatz an der Theresienwiese versammelt, wie Veranstalter und Polizei schätzen – allein 50 davon arbeiten bei einer einzigen Firma, dem Bauunternehmen Regnauer, das seine Mitarbeiter mit einem Reisebus angekarrt hat.

Den Eindruck einer impulsiven "Graswurzelbewegung", die sich aus der breiten Bevölkerung ergibt, erweckt die Demonstration "SOS Wirtschaftswarntag" freilich nicht. Vielmehr beantwortet sie die Frage, wie es wohl aussähe, wenn mal die Chefs auf die Straße gingen.
Es ist ein deutschlandweiter Protest designt von Verbänden aus der Wirtschaft. Im Laufe des Tages haben auch in Hamburg, Stuttgart und Berlin Kundgebungen stattgefunden – zumindest in der Hauptstadt sollen es laut Veranstalter über 1000 Teilnehmer gewesen sein.
Am Protest in München beteiligten sich etwa die bayerischen Familienunternehmer, der Verband Druck und Medien in Bayern, der Bundesverband Deutscher Mittelstand, der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband Dehoga, und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft – ein Tochterunternehmen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Sie alle eint ein Ziel: mehr wirtschaftliche Freiheit. Federführend beim Protest in München ist die Familienunternehmerin Vesterling.
Familienunternehmerin: "Schlimmste Wirtschaftskrise seit der Nachkriegsgeschichte"
Der Grund für den Aufstand: "Die Lage in Deutschland ist so schlecht und wir sind der Meinung, dass die Politik nicht verstanden hat, wie schlimm es wirklich ist", sagt sie der AZ. Der Protest sei als Aufruf an die Bürger gedacht, auf die Wirtschaftskompetenz der Parteien zu achten. Für sie ist es das Thema der Wahl – auch Umfragen zufolge ist es neben Migration das drängendste Problem.

In ihrer Rede präsentiert Vesterling ihren Fünf-Punkte-Plan gegen die "schlimmste Wirtschaftskrise seit der Nachkriegsgeschichte": Zuallererst sei eine "glaubhafte Senkung der Bürokratielasten" erforderlich. Das Menschenmengchen antwortet mit "Jawohl!"-Rufen, Trillerpfeifen und Klatschen. Weiter fordert Vesterling ab Tag eins der kommenden Regierung einen Stopp neuer Regulierungen.
Das würde nichts kosten, aber mehr Handlungsspielraum ermöglichen. Die Regelflut ist auch die größte Sorge von Regnauer-Geschäftsführer Harald Flad und dem selbstständigen IT-Berater Johannes Hohenthaner, wie sie im Gespräch mit der AZ erzählen.

"Wir brauchen eine echte Kettensäge!", ruft Vesterling in Anspielung auf den argentinischen Präsidenten Javier Milei, der die Kettensäge zum Symbol für die Verschlankung des Staates erhoben hat. Hohenthaner, der für den Protest eine kleine Plastikkettensäge mitgebracht hat, reckt diese dabei in die Höhe.
Verbände wollen niedrigere Unternehmenssteuern
Punkt zwei: niedrigere Unternehmenssteuern – unter 25 Prozent. Demnach ist eine Steuerpolitik mit "Anreizen zum Investieren und Hierbleiben" nötig. "Unsere Unternehmenssteuern sind international schon lange nicht mehr wettbewerbsfähig", beschwert sich Vesterling.
Dehoga-Bayern-Präsidentin Angela Inselkammer – die zweite Rednerin – ergänzt, dass auch die sieben Prozent Mehrwertsteuer auf Getränke und Speisen zurückkehren müssten sowie Überstunden steuerfrei sein sollten.
Drittens braucht es laut Vesterling für mehr Wirtschaftswachstum eine "breiter aufgestellte Energiepolitik". "Die hohen Energiepreise bedeuten das Aus für unsere produzierende Industrie", klagt die Unternehmerin. Ebenfalls für das Wachstum notwendig sei Punkt vier: eine "Sozialpolitik zum weiter und mehr arbeiten".
Die letzte Forderung: Die Sanierung sozialer Sicherungssysteme, damit deren Kosten die kommende Generation nicht erdrücken. "Deutschland hat kein Einnahme-, sondern ein Ausgabenproblem!", ruft Vesterling – und wird abermals bejubelt.
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