"Sonst bleibt von der Politik nur ein blubbernder Brei"

Warum sich Frankens Kabarett-Star Urban Priol so über „rumeiernde“ Politik, Abwrackprämien und Schaefflers Finanzforderung aufregen kann und wie er sich die Lust an der ZDF-„Anstalt“ bewahrt.
von  Abendzeitung

NÜRNBERG - Warum sich Frankens Kabarett-Star Urban Priol so über „rumeiernde“ Politik, Abwrackprämien und Schaefflers Finanzforderung aufregen kann und wie er sich die Lust an der ZDF-„Anstalt“ bewahrt.

Fürs Foto bestellt er sich morgens an der Bar gleich ein Hefeweizen. Das Bierglas mit freilich alkoholfreiem Inhalt gehört zu Urban Priols Image wie die Starkstromfrisur jenseits der lichter werdenden Fleischkappe. Dabei sei er überhaupt kein Biertrinker, betont Priol, der dennoch bei 150 Auftritten im Jahr drei Stunden Wortschwall mit einem Liter herunterspült. Zur Stimmbandpflege schluckt er von September bis April vorsorglich japanisches Minzöl auf Traubenzucker – „Chili für den Hals". Die Krisenzeiten haben das atemberaubend schnell aktualisierte Solo „Tür zu!“ des Star-Kabarettisten nochmals wachsen lassen. Für den Aschaffenburger, der mit Kollege Georg Schramm und „Neues aus der Anstalt“ im ZDF einen Fernseh-Volltreffer landete, galt schon immer: „Alles muss raus!“

AZ: Guten Morgen, Herr Priol, Zeitungskontrolle: Was haben Sie denn heute gelesen?

URBAN PRIOL: Ich habe angefangen mit der „Süddeutschen“ und da ein paar Dinge angekreuzt, die ich nachher ausschlachten will. Dann BILD und etwas Regionales zur Schaeffler-Gruppe: Wie Herzogenaurach darunter leidet. Jetzt ist die Stadt seit ein paar Jahren Lothar Matthäus los, nun leidet sie unter dieser Frau, das ist auch ned schön.

Gibt's Tage, wo Sie nicht fündig werden?

Nein, es gibt immer was. Auch wenn ich gar nicht lese, finde ich etwas. Ich bin ja so ein furchtbarer Sammler und hebe alles auf, weil ich mir sage, da könnte noch etwas drinstehen. Aber mittlerweile habe ich die Methodik geändert: Was ich an einem Tag nicht geschafft habe in den Zeitungen, lass’ ich dann auch.

Das heißt aber: Was morgens beim Frühstück gelesen wurde, findet abends auf der Bühne sein satirisches Echo.

Ja. Der aktuelle Block war zu Beginn vor zwei Jahren zehn Minuten, jetzt ist er fast eine Stunde. Momentan komme ich gar nicht nach.

Gibt's Themen, die Sie links liegen lassen? Oder rechts?

Nö, momentan greife ich alles auf. Vom Gaza-Konflikt bis zu Merkels Vergangenheit.

Was reizt Sie derzeit am meisten?

Das Rumeiern der Großen Koalition. Zu sehen, dass von markigen Sprüchen am nächsten Tag nichts mehr übrig bleibt, ist faszinierend. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel inzwischen eine Galeria Wortbruch aufmachen könnte, jeden Tag ihre Meinung ändert, ist toll. Na gut, sie war ja FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda. Da wird sie sich noch etwas rübergerettet haben.

Der Satiriker wünscht sich, dass die Große Koalition noch lange hält?

Ja, nö. Es ist auch eine gewisse Fassungslosigkeit in der Krise. Zu sehen, dass die Truppe von Guido Westerwelle inzwischen bei Umfragen bei 16 Prozent rangiert. Gerade Westerwelle, ein seit zehn Jahren zurecht in der Versenkung verschwundener ehemaliger Container-Besucher.

Kann Sie in puncto Nachrichten überhaupt noch was schocken?

Ich hätte nie gedacht, dass das ernst gemeinte Thema Klimaschutz mit einem Federstrich beerdigt wird, in dem Moment, wo Bundeskanzlerin Angela Merkel gemerkt hat, es bringt ihr nichts mehr an Sympathiewerten. Das ist eine derartige Unverschämtheit, die kann man gar nicht in Worte fassen.

Da spricht der Grüne.

Sicherlich. Ich brauche auch keine Abwrackprämie für Autos. Wenn man bedenkt, was Autos bei der Herstellung und Verschrottung für Energie brauchen, sollte man eigentlich eher darauf achten, die bestehenden Fahrzeuge möglichst lang zu fahren. Und nicht auch noch der Automobilindustrie, die Entwicklungen 15 Jahre lang verschnarcht hat, Geld in den Rachen zu schmeißen.

Kollege Frank-Markus Barwasser lästerte ja mal, dass Sie so viel Sprit verblasen im Jahr wie andere mit mehreren Porsche Cayenne.

Ach, ich fahre mittlerweile sehr viel mit der Bahn, weil ich da einfach besser arbeiten kann. Und seit die Spritpreise so explodiert sind, fahre ich mit Tempomat und Richtgeschwindigkeit. Erstaunlich, wie viel Sprit man damit spart.

Ein Handlungsreisender in Sachen Humor. Noch ein kleiner Reaktionstest. Stichwort: Bad Bank.

(lacht dreckig). Tolle Idee, sollte jeder machen, der ein Loch in der Haushaltskasse hat. Man sollte eigentlich für alles eine Parallelwelt schaffen.

Bad Benedikt.

Oh, ganz bad Benedikt. Und Bad Bishops. Das Schönste ist: Was macht er jetzt, der Sechzehnte? Er darf ja nicht zugeben, dass er einen Fehler gemacht hat. Denn er ist ja unfehlbar. Beim Alt-Inquisitor Ratzinger lässt mit der Zeit eben doch die Wirkung der sedierenden Medikamente nach. Das kriegt der Vatikan nicht mehr in den Griff.

Schaefflers Armut.

Super. Ich sage, Mädel, wenn du Continental haben willst, dann kauf's, ist dein Problem. Dann schieß aus deinen sechs Milliarden Privatvermögen 5,9 Milliarden zu. Dann hast Du immer noch 100 Millionen. Jetzt rechnen wir das mal hoch: Sie ist 67. Gehen wir optimistisch davon aus, dass sie noch 30 Jahre lebt. Das würde bedeuten: Sie hat jedes Jahr 3,333333 Millionen 33 Cent zum Verjuxen. Das sind pro Tag 9412 Euro. Kann ja sein, dass später mit Swarovski-Steinen besetzte Rollatoren etwas teurer sind, aber das sollte trotzdem genügen.

Die Morgenlektüre findet automatisch abends ihr Echo?

Ja. Der aktuelle Block in „Tür zu!“ war zu Beginn vor zwei Jahren zehn Minuten, jetzt ist er fast eine Stunde. Momentan komme ich gar nicht nach.

Sie regen sich noch auf?

Ich kann mich immer aufregen.

Ist das Ventil?

Ich dampf’ dann ab. Ich fresse nichts in mich hinein.

Und Sie glauben an die Gerechtigkeit der Welt.

Nein, deswegen rege ich mich ja so auf. Vor allem, wo das untere Viertel der Gesellschaft bleibt. Dann guckst du nach Frankreich, die sind draußen und protestieren. Die Argumente beim Großstreik hättest du eins zu eins nehmen können: Das sind unsere Themen. Da kriege ich die Krise!

Untertanengeist?

Natürlich. Und alle Seiten pappen noch als Gütesiegel an, dass das deutsche Volk so besonnen ist. Wie lange will es denn noch warten?

Ist es nach 27 Jahren mühsamer, sich abends die Stromfrisur hinzusprayen oder den täglichen Irrsinn in Pointenkugeln zu gießen?

Das Schwierigste ist eigentlich, dass man immer öfter das Gefühl hat, Dinge zu erzählen, die schon vor 15, 20 Jahren klasse waren. Daran nicht zu verzweifeln, dass sich an gewissen Mechanismen nichts ändert, ist die hohe Kunst.

Dieser andauernd hektische Stillstand lähmt Sie nicht?

Da müssten Sie mich noch mal nach drei Legislatur-Perioden Merkel-Westerwelle fragen. Da bin ich, glaube ich, nicht nur gelähmt, sondern mumifiziert.

Haben Sie vor irgendwas Angst?

Nö, das Übliche halt. Dass meiner Tochter etwas passiert, vielleicht. Verarmung...

Burnout?

Nö...

Blackout?

Da wurschtel ich mich auch immer irgendwie raus (klopft sich ans Hirn).

Bei Ihrem Lebenswandel haben Sie offenbar auch keine Furcht vor Heimatlosigkeit.

Ich fühle mich überall wohl. Ich war in Würzburg auf der Schule, habe in England studiert, hatte Brieffreunde in Frankreich, durch meine Frau war ich eine Zeit lang in einer Großfamiliensippe auf Sardinien. Im Prinzip ist es ganz einfach: Es muss Wald in der Nähe sein und Wasser.

Hotels sind nicht Ihre wahre Heimat?

Naja, die hake ich ab als Zwischenstopps. Im Urlaub gibt's für mich nichts Schlimmeres als Hotels. Deshalb habe ich mir jetzt einen alten VW-Camper gekauft, Baujahr ’78. Der ist jetzt im März fertig, und dann machen wir in den Osterferien gleich eine Tour.

Obernburg am Main wird immer als Geburtsort genannt.

Nein, ich bin in Aschaffenburg geboren, war dort in der Schule, bin dort Taxi gefahren und Rettungswagen und habe jetzt ein kleines Loft dort, wo ich mich zurückziehe. Obernburg war mein Elternhaus.

1988 Kleinkunstbühne Obernburg, 1998 „Hofgarten“ Aschaffenburg. 2008 ist nichts passiert. Schwächeln Sie als Satire-Filialist?

Mit den zwei Bühnen und eigener Fernsehsendung habe ich genug zu tun. Vielleicht mache ich irgendwann mal was mit meinen Oldtimern.

Mit welchen Oldtimern?

Ach, ich sammel’ doch Oldtimer. Das ist so meine Entdeckung der Langsamkeit.

Wie, Schnauferl?

Na, so alles aus den 60er Jahren. Wo man irgendwelche Erinnerungen dran hat.

Hat denn das Privatleben unter diesem Wust an Aktivitäten nicht gelitten?

Natürlich, immer, heute noch. Man schneidet sich halt freie Zeit aus den Rippen.

Können Sie immer noch schlecht Nein sagen?

Das werde ich wahrscheinlich nie los. Aber es wird besser.

Vom Klassenclown zum Kabarettisten – war das eine zwangsläufige Karriere?

Nö, ich habe ja alles Mögliche ausprobiert.

Sie haben zum Beispiel auf Lehramt studiert. Wären Sie ein guter Lehrer geworden?

Ich glaube, ja. Aber mich hätten die Mädchen vermutlich zu nervös gemacht in der Oberstufe. Das wäre nicht gut ausgegangen.

Steckt immer noch ein Stück Didaktik in Ihnen?

Nein, ich will nicht aufklärerisch wirken.

Sie haben Englisch und Russisch studiert – warum das?

Englisch und Geschichte waren die Hauptfächer. Ich mag halt Sprachen, da dachte ich mir, mach’ doch mal Russisch.

Da könnten Sie ja jetzt glatt (G)Erd-Gas verkaufen.

(Im Schröder-Tonfall). Ja, ich wäre wahrscheinlich jetzt bei Gerd. Habe ich mir sogar überlegt, Dolmetscher zu werden.

„Fernsehkasper“ nannte Sie jemand. Sind Sie selbst empfindlich gegen Spott?

Ich bin empfindlich gegen Dummheit. Aber sonst kann ich über mich selber lachen. Wenn man mich karikiert, habe ich kein Problem.

Wie sehen Sie sich denn: als Hofnarr, Psychotherapeut, Gesundmacher durch Lacher?

Hofnarr trifft's, glaube ich, ganz gut. Auch die Möglichkeit, damit selber zu überleben. Weil man als Hofnarr vieles sagen kann, was das Publikum auch denkt, aber nicht so in Worte fassen kann. Oder will. Ohne das jetzt zu überhöhen, auf keinen Fall.

Was ist Kabarett heute: Bestätigung oder Aufklärung?

Dass man in Sprechblasen piekt. Anzumerken, dass keine Konfrontation mehr da ist. Nur davon, von Reibung und Streit, lebt eine Demokratie. Wenn sich nicht mehr aufgeregt wird in der politischen Führung, dann ist das irgendwann ein blubbernder Brei. Und das darf nicht sein.

Deutschland ist eine Einig-Kabarettnation. Entdecken wir Lockerheit und Ironie?

Beides, schon länger. Aber was mir wirklich Angst macht, ist, dass nach Vorstellungen immer öfter Zuschauer sagen: Ihr müsst in die Politik! Dass Kabarett mittlerweile schon als Ersatz gesehen wird, ist doch grundfalsch!

Drei Millionen schauen im Schnitt bei „Neues aus der Anstalt“ zu. Es könnte auch senile Bettflucht sein, weil der ZDF-Zuschauer ja angeblich durchschnittlich 65 ist.

Dann müssten wir ja morgens um vier laufen, wenn wir noch höhere Quoten haben wollen. Denn das ist ungefähr die Zeit, wo sie aus ihren Bett kullern. Auch bei der „Anstalt“ ist festzustellen, was wir bei den Tourneen bemerken: dass sich das Publikum verjüngt. Das spürt man.

Also keine Silberrücken mehr?

Doch. Aber du kannst kein größeres Kompliment bekommen, als wenn in deiner Vorstellung oder vor dem Fernseher drei Generationen sitzen.

Ursprünglich waren für die „Anstalt“ nur zehn Sendungen geplant. Jetzt spotten Sie auf die 25. Folge zu. Wie hält man das Verrückte frisch?

Indem sich die Gäste von Anfang an drauf einlassen. Und Georg und ich daran nach wie vor einen unheimlichen Spaß haben. Dass nie eine Routine einkehrt.

Blicken Sie auf den ausblutenden ARD-„Scheibenwischer“ als warnendes Beispiel?

Wenn man ehrlich gegen sich selbst ist, spürt man, wann es beginnt, keinen Spaß mehr zu machen. Für den Moment musst du deinen Fahrplan im Kopf haben für die Exit-Strategie.

Für 2010 ist ein neues Solo angekündigt. Was wird da völlig neu sein, außer dem Titel?

Keine Ahnung. Vielleicht thematisiere ich das aktuelle Markenzeichen noch mehr: Jeder Abend eine eigene Baustelle.

So wie bei „Täglich frisch“?

Und wie im jetzigen Solo auch. Vielleicht heißt es dann nur noch „Priol kommt“.

Ihre Sehnsucht nach Krimis muss also weiter warten?

Der Krimi-Darsteller vielleicht. Aber beim Krimi-Autor muss ich mal gucken. Wenn ich mir mal eine längere Auszeit nehme, werde ich das machen. Bestimmt.

Was wäre ein Urban Priol, wenn er sich nicht Abend für Abend die Flecken von der Leber ätzen könnte?

Ich wäre Binnenschiffer oder Taxifahrer.

Da ist die jetzige Lösung die vermeintlich kreativere.

Ja, aber die andere ist auch sehr schön. Ich möchte auch für den späteren Lebensabschnitt nichts ausschließen. Mein Opa war nach dem Krieg der letzte aktive Fischer auf dem Main. Und für mich gibt's seit der Kindheit nichts, was mich mehr fasziniert als diese Binnenschiffe: diese Kartoffeldampfer da-duff-da-duff-da-duff, die an dir vorbeifahren.

Interview: Andreas Radlmaier

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