Sonniger Türöffner
NÜRNBERG - Die Star-Cellistin Sol Gabetta kommt mit Vivaldi und Corelli nach Nürnberg. Grenzen akzeptiert sie nicht, sondern überwindet sie mit Bravour.
Schubladendenken mag sie gar nicht. Und auch sonst ist Sol Gabetta eine, die gerne über den eigenen Tellerrand blickt. „Jetzt mit 27 Jahren kann ich mich noch nicht einschränken", sagt sie im AZ-Interview. Dass die attraktive Cellistin eine Entdeckerin ist, nimmt man ihr sofort ab. Für ihre im vergangenen Jahr erschienene Vivaldi-CD bezog sie ihr wertvolles Guadagnini mit Darmsaiten, schnappte sich einen Barockbogen und tauchte in die Welt der historisch informierten Aufführungspraxis ein. Die eingespielten Cello-Konzerte in a-Moll und h-Moll sowie ihre Version von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“-Winter hat Gabetta auch beim Nürnberg-Auftritt am 28. Dezember in der Meistersingerhalle im Gepäck.
Die Echo-Preisträgerin gehört zu den wenigen Frauen, die es mit dem Cello in die international erfolgreiche Solisten-Liga geschafft haben. Seit der früh verstorbenen Jacqueline du Pre gab es keine Cellistin mit Star-Qualitäten mehr. Auf eine wie Sol Gabetta hat die Branche also nur gewartet. Und natürlich wird sie gerne mit der legendären Britin verglichen. Keine Frage, Sol bewundert die große Jackie, sieht allerdings kaum Gemeinsamkeiten: „Wir sind beide blond, aber das ist auch schon alles."
Dass Senorita Gabetta so ungemein neugierig ist, gerne „Türen öffnet", wie sie sagt, mag mit ihrer Biographie zusammenhängen. Ländergrenzen spielten schon früh keine Rolle mehr, denn Argentinien, wo sie die ersten zehn Jahre verbracht hat, war für ein musikalisches Talent ein schwieriges Pflaster. Alle zwei Wochen musste ihr Vater sie 800 Kilometer zum Unterricht fahren.
Als ein Stipendium in Europa winkte, brach die Mutter mit ihr und dem geigenden Bruder nach Madrid auf. Zwei Jahre später, 1994, folgte Sol ihrem Lehrer Ivan Monighetti nach Basel. Dass man neben dem hispano-südländischen Zungenschlag auch einen Schweizer Tonfall ausmachen kann, kommt nicht von ungefähr. Denn nach einem Berlin-Abstecher zu David Geringas ist sie wieder in Basel gelandet und lehrt an ihrer alten Hochschule. „In der Schweiz fühl' ich mich längst zu Hause", betont die Frau, die als Kind eines Argentiniers und einer Französin mit russischen Wurzeln immerhin sechs Sprachen beherrscht. Fließend.
Doch bei aller Eloquenz ist ihr wichtigstes Medium das Cello. Spinnengleich flitzen die fast ausgestreckten Finger übers Griffbrett, die Technik ist eigenwillig. „Dass ich mit so viel Fleisch (also nicht nur mit den Fingerkuppen) greife, wollten mir die Lehrer austreiben", gesteht sie, „aber ich kann nur so wirklich gut spielen."
Wer Sol Gabetta hört, gerät schnell in einen Sog. Warm und kraftvoll strömen die Töne durch den Konzertsaal. Wenn sie nach Tschaikowsky, Saint-Saens oder Ginastera nun Vivaldi oder Corelli spielt, dann hält sie sich mit dem Vibrato noch mehr zurück. Allerdings macht die Musikerin daraus keine Wissenschaft. „Natürlich spiele ich mit einer anderen Technik, aber wer bestimmt eigentlich, dass Barockmusik nicht mit Vibrato gespielt werden darf?", fragt sie provokativ: „Vibrato ist für mich nur eine Farbe, entscheidend ist doch die Interpretation. Welche Aussage hinter der Musik steckt!" Auf ihrer Reise ins 18. Jahrhundert hat sie gemerkt, dass es keine Grenzen gibt: „Die steckt man sich nämlich selbst. Im Kopf!" Dass Gabetta keine Berühungsängste kennt, zeigen auch ihre aktuellen CDs: Mit den Münchner Philharmonikern hat sie Schostakowitschs Cellokonzert aufgenommen, und auf „Cantabile“ spielt sie Opernarien und Lieder von Rossini bis Offenbach — mit Bravour.Christa Sigg
Sol Gabetta spielt gemeinsam mit dem Kammerorchester Basel am 28. Dezember um 20 Uhr in der Nürnberger Meistersingerhalle Vivaldi und Corelli. Karten Tel. 0911 / 433 46 18.
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- Münchner Philharmoniker