Sonderzug aus Pankow

NÜRNBERG - Verjuxte „Zauberflöte“ in Nürnberg: Während die Regie blödelt, spielen Philharmoniker modellhaft – da wollte der Dirigent lieber nicht auf die Bühne.
Einen Prinzen gibt es nicht bei dieser Neuinszenierung von Mozarts „Zauberflöte“, dafür eine Prinzengarde. Sie wirft die Beine im Dienste des Weisheitstempels rhythmisch hoch, wo ein gelangweilter Männerbund im Namen von Isis und Osiris die Freizeit mit Büro-Golf niedermacht. Herrscher Sarastro kommt im Sonderzug aus Pankow, wolle mer’n reilasse?
Die Königin der Nacht befehligt allenfalls einen Nachtclub, lässt sich vom Leder-Fetischisten Papageno statt Vögeln lieber Boys einfangen. Und die „böse Schlange“, die den feuchtträumerischen Jüngling Tamino immer beunruhigt, befindet sich hier körpernah unter seiner Bettdecke, wo sie von drei geschulten Damen gebannt wird. Da helfen nur stabile Unterhose und wasserdichte Partitur. Es ist beides vorhanden, und so kann der werkunabhängige Humor von Gastregisseurin Laura Scozzi, den wir ganz genau so bereits 2008 in „Benvenuto Cellini“ kennen lernten, seinen Gang gehen. Er führt an der (von Christof Prick und den Philharmonikern in allen Schattierungen wunderbar ausgeleuchteten, immer vital bleibenden) Musik vorbei zur Schlacht von Bravos und Buhs. Kurzweilig, denn man bleibt gespannt, was die Regisseurin noch alles treiben mag, ohne sich aufs Stück einzulassen. Der Dirigent wollte dafür am Ende nicht auf die Bühne, er verweigerte die Team-Verbeugung.
Wer diese Vorzugs-Oper aller Aufführungs-Statistiken auf die Bühne bringt, ist dem hochgestapelten Widerspruch von Pathos und Posse ausgeliefert. Dubiose Herren-Weisheiten, wuchernde Märchenfantasie und blühender Blödsinn rangeln um Deutungshoheiten, die ihnen ein genialer Komponist und ein pragmatischer Theatermacher nur als Kollektiv übertragen haben. Am Nürnberger Opernhaus ist das einfacher, denn da sind auf der Bühne die ernsthaften Gefühle zugunsten von Scherzkekserei gelöscht, während das Orchester davon unbeeindruckt das Original spielt. Im Grunde kriegt man zwei Produktionen für einen Preis – damit lässt sich werben.
Schon zur Ouvertüre stellt Laura Scozzi klar, was die Stunde geschlagen hat. Während aus dem Graben der Einstieg in eine komplizierte Geschichte zu vernehmen ist, geht auf der Bühne ein Brautpaar, ganz in Weiß mit Blumenstrauß, von der Trauung direkt zum Ehe-Wrestling über. Der Mann knallt seine Frau auf die Bretter. Was sehr unfreundlich ist, aber den Ton fürs Folgende angibt. Das passiert irgendwo bei Kitzbühel, wie Kulissenschieberin Natacha Le Guen de Kerneizon mit vergrößerten Urlaubsprospekten meldet. Auch die Einbauküche für Putzfrau Pamina ist ein Katalog-Foto. Draußen fliegen Gondeln und Helikopter, fahren Rodelschlitten und Triebwagen (!) – allesamt liebevoll mit der Schere ausgeschnitten – durch die verschneite Gegend. Bergdoktor, hilf! Am Ende weicht das Eis einer Grill-Party – da geht der letzte Zauber flöten.
Die Sänger fuchteln parodistische Gesten und tippeln abgezählte Schritte. Tilman Lichdi ist als Tamino die einzige Figur ohne Glaubwürdigkeits-Defizit. Er spielt den jugendlichen Schwärmer und behütet Mozarts Kostbarkeiten in aller Juxerei. Auf gleicher Höhe Heidi Elisabeth Meier als empfindsam singende, zum Abwinken neckisch ausstaffierte Pamina. Melih Tepretmez hat kernige Töne für den federfreien Leder-Papageno und kämpft mit rudernden Armen gegen Dialoge, die nie zu seinem Outfit passen. Hrachuhí Bassénz torkelt champagnerflammend in ebenso wankende Hysteriker-Koloraturen, Guido Jentjens versteift sich als Staatsrats-Sarastro im Irgendwas, das die Regisseurin so schätzt. Drei Damen (Sybille Witkowski, Ezgi Kutli, Teresa Erbe) recken Revue-Gänsemarsch. Dann gibt es das finale Gartenfest am Gummi-Pool. Er ist so aufblasbar wie es die Inszenierung von der ganzen „Zauberflöte“ behauptet. Dieter Stoll
Wieder 16. November und dann bis April 14 weitere Aufführungen. Karten Tel. 0180-5-231600