Söders Kreuz-Offensive verstößt gegen Gesetz: Konstantin von Notz im Interview

München - Der Pressetermin am Dienstag hat eingeschlagen wie eine Bombe: Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hängte eigenhändig ein Kreuz ins Foyer der Staatskanzlei (<em>AZ</em> berichtete). Bis 1. Juni sollen alle Ämtern der Staatsregierung nachziehen – was für bundesweiten Wirbel sorgt. Die AZ hat mit Konstantin von Notz über die Thematik gesprochen.
AZ: Bayerns Staatsregierung hat angeordnet, dass künftig in allen Behörden des Bundeslandes ein Kruzifix hängen muss. Was halten Sie davon?
Konstantin von Notz: Die Angst der CSU vor dem Verlust der absoluten Mehrheit in Bayern treibt immer bizarrere Blüten: Nach der Verbrüderung mit Viktor Orbán, Plänen einer völlig unverhältnismäßigen Verschärfung des bayrischen Polizeigesetzes sowie der Kriminalisierung von kranken Menschen durch ein neues Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz ist die Kreuzpflicht im "Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes" des Landes Bayern der nächste groteske Vorstoß einer Regionalpartei, die zum wiederholten Male klare verfassungsrechtliche Vorgaben offen in Frage stellt.
Wie schätzen Sie den Vorgang rechtlich ein?
Es ist ein offenkundiger und vorsätzlicher Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht, der geeignet ist, den Religionsfrieden in Deutschland massiv zu erschüttern. Dabei bedeuten diese Neutralität und unsere Religionsfreiheit nicht die Freiheit von Religion. In unserer pluralen Gesellschaft gehören religiöse Symbole im täglichen Leben und öffentlichen Raum genauso dazu wie humanistische und säkulare Zeichen, allerdings immer als Ausdruck individueller Bekenntnisse oder als Bekenntnisse religiöser Gemeinschaften. Die Religionsfreiheit aus Art. 4 Grundgesetz begründet das Recht des Lehrers, ein Kreuz am Hals oder als Schülerin ein Kopftuch zu tragen, oder das Recht, ein Wegekreuz aufzustellen.
Was also spricht gegen Kreuze in Behörden?
Der Wand eines staatlichen Gebäudes steht dieses Grundrecht aus gutem Grund nicht zur Verfügung. Die Gesetzeslage ist diesbezüglich so klar wie die Rechtsprechung.
Söder sagt, es gehe weniger um Religion und mehr um ein Bekenntnis zur Rechts- und Gesellschaftsordnung ...
Die Behauptung der CSU-Staatsregierung, mit dem Kreuz an der Wand staatlicher Behörden ein "sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland" zu setzen, zeugt von vollständiger Ignoranz gegenüber der Verfassung des Bundes – unserem Grundgesetz. Im Kruzifix-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht in aller Klarheit gesagt: "Aus der Glaubensfreiheit des Artikels 4 Absatz 1 des Grundgesetzes folgt im Gegenteil der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt." Auch Bayern ist kein christlicher Gottesstaat.
Aber es gibt eine ausgeprägte christliche Tradition und Söder sieht die Anordnung im Einklang mit dem Neutralitätsgebot. Irrt er?
Die Pflicht zum Aufhängen von Kreuzen ist ein vorsätzlicher Affront gegen diese klaren Vorgaben. Er irritiert religiös nicht festgebundene Menschen und Säkulare, die sich mit ihrer Religion oder Weltanschauung als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse degradiert fühlen müssen. Die Vereinnahmung des hoch religiösen Zeichens Kreuz dokumentiert aber auch eine massive Übergriffigkeit der CSU gegenüber Christinnen und Christen und den Kirchen.
Wie sollte Horst Seehofer Ihrer Meinung nach mit dem Thema umgehen?
Der Bundesinnen- und Verfassungsminister, der gleichzeitig CSU-Parteichef ist, muss diesem spalterischen, rechtspopulistischen und offen verfassungswidrigen Treiben der bayerischen Landesregierung Einhalt gebieten. Das Agieren der CSU-Landesregierung diskreditiert ihn und sein Amt ansonsten massiv.
Welche Schlussfolgerung ziehen sie aus der bayerischen Kruzifix-Anordnung?
Es bewahrheitet sich, dass die Vereinbarkeit des Vorsitzes einer Partei, die im bayerischen Wahlkampf auch vor den schrägsten Vorschlägen keinen Halt macht, mit der Arbeit eines Bundesinnenministers, der das Wohl des ganzen Landes im Blick haben muss, nicht zu vereinbaren ist. Horst Seehofer wäre gut beraten, wenn er den CSU-Parteivorsitz niederlegen würde, um deutlich zu machen, dass es ihm tatsächlich um das Land und nicht allein um die CSU und ihren Wahlkampf in einem von sechzehn Bundesländern geht..
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