So lernen Polizisten in Bayern, wie Sie kritische Situationen meistern

München/Rosenheim - In der Hand hält Johann Donaubauer einen Edding. Mit einem Schrei stürzt sich der Polizeihauptmeister (38) auf einen Kollegen. Der Angriff erfolgt mit solcher Wucht und Schnelligkeit, dass der Polizist im Overall nicht einmal dazu kommt, seine Waffe zu ziehen.
Links, rechts, oben, unten – das "Messer" ist so schnell, dass man die Bewegungen kaum sieht. Ein wildes Muster aus grünen Strichen überzieht Brust, Schulter und Oberkörper des Trainingspartners. "Ein Messer ist eine lebensgefährliche Waffe", sagt Johann Donaubauer.
Er ist Personenschützer und Experte für Kampftechnik: "Je näher ein Angreifer herankommt, um so schwerer wird es, ihn abzuwehren."
Donaubauer: "Das läuft nicht ab wie im Kino"
Johann Donaubauer war selbst schon in einer ähnlichen Situation. In München wurde er als junger Streifenpolizist nach Neuperlach geschickt: Häusliche Gewalt – ein Mann bedrohte seine Frau in einer Wohnung in der Quiddestraße. "Ich hatte damals zum Glück einen älteren Kollegen dabei, der die Situation im Griff hatte", sagt Johann Donaubauer.
Inzwischen trainiert der 38-Jährige selbst Kollegen, damit sie gefährliche Einsätze mit heiler Haut überstehen. Täter, die im Umgang mit Messern geübt sind, stechen nicht nur zu. "Das läuft nicht ab wie im Kino", betont Hauptkommissar Christian Walter. "Die Angreifer fügen ihren Opfern tiefe Schnitte zu und verursachen dabei fürchterliche Verletzungen."
"271 Angriffe auf Polizisten gab es 2016, das sind 57 mehr als im Jahr davor, Tendenz steigend", sagt Polizeipräsident Robert Kopp. Sein Präsidium erstreckt sich von Traunstein über Rosenheim bis nach Weilheim.
Polizei-Training im stillgelegten Umspannwerk
Rund 15.000 Fälle von häuslicher Gewalt pro Jahr, Streit unter Paaren, in Familien im Freundeskreis. Meist sind es Männer, die ausflippen. Sie schlagen alles kurz und klein – bis jemand die Polizei alarmiert. "Wir wissen nicht, was uns im Einsatz erwartet, die Kollegen müssen auf alles vorbereitet sein", betont Christian Walter, der die Übungen koordiniert.
Die Beamten sollen lernen, kritische Situationen zu deeskalieren, die Streitenden auf Distanz zu halten und mit ihnen zu sprechen. "Die Erfahrung lehrt, wer redet, muss nicht schießen", sagen Trainer.
Jeder der rund 2.500 Polizisten im Präsidium Oberbayern Süd nimmt regelmäßig am Einsatztraining teil. Beamte im Außeneinsatz im Schnitt alle drei Monate, die Kollegen im Innendienst zwei Mal pro Jahr. Für die Ausbildung in Rosenheim hat das Präsidium ein stillgelegtes Umspannwerk gemietet.
"Hier können wir die unterschiedlichsten Szenarien trainieren", erklärt Vizepräsident Harry Pickert. Normale Einsätze, wie sie die Beamten jeden Tag erleben, aber auch Amok- oder Terrorlagen. Dafür haben die Polizisten im Streifenwagen eine spezielle Schutzausrüstung: schusssichere Weste, Oberkörperschutz, Helm, MP. Alles zusammen wiegt rund 25 Kilo. Christian Walter: "Sich im Einsatz sicher zu bewegen, zu schießen, muss immer wieder geübt werden."
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