So half der Vatikan NS-Schergen bei der Flucht

Hitlers Raketen-Konstrukteur Wernher von Braun machte in Amerika Karriere. Die CIA beschäftigte die schlimmsten Kriegsverbrecher.
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Wernher von Braun (Mitte) und Amerikas Präsident John F. Kennedy (rechts) beobachten den Start einer Rakete.
AP 4 Wernher von Braun (Mitte) und Amerikas Präsident John F. Kennedy (rechts) beobachten den Start einer Rakete.
Israels Geheimdienst entführte ihn mit einem spektakulären Coup aus Argentinien: Holocaust–Organisator Adolf Eichmann.
AP 4 Israels Geheimdienst entführte ihn mit einem spektakulären Coup aus Argentinien: Holocaust–Organisator Adolf Eichmann.
Spielte während der Herrschaft der Nazis eine umstrittene Rolle: Papst Pius XII.
AP 4 Spielte während der Herrschaft der Nazis eine umstrittene Rolle: Papst Pius XII.
Schlüpfte durchs Fahndungsnetz: Josef Mengele.
obs/Schlaftracker 4 Schlüpfte durchs Fahndungsnetz: Josef Mengele.

Hitlers Raketen-Konstrukteur Wernher von Braun machte in Amerika Karriere. Die CIA beschäftigte die schlimmsten Kriegsverbrecher.

NÜRNBERG Der Historiker und Buchautor („Der Nürnberger Prozess“) Klaus Kastner, ehemals Präsident des Nürnberger Landgerichts, bringt das Dilemma auf den Punkt: „Es saßen zwar nicht die Falschen auf der Anklagebank, aber es fehlten viele, die es verdient hätten.“ Die Lücken waren der Preis für das Tempo, mit dem die Repräsentanten des „Dritten Reichs“ nur ein halbes Jahr nach dem Zusammenbruch vor das Internationale Militärgericht gestellt wurden.

Das beste Beispiel dafür, dass der Gerichtshof von den gewaltigen Bergen an Beweismaterial fast erschlagen wurde, ist Josef Mengele. Obwohl der Name des Arztes aus dem schwäbischen Günzburg im Verlauf des Prozesses immer wieder in grässlichen Zusammenhängen auftaucht, geht er in den Papierfluten unter. Mengele, der in Auschwitz die Selektion der Ankommenden erledigte, in Sekundenbruchteilen über Leben und Tod entschied und grausamste Menschenversuche durchführte, lebte nach dem Krieg jahrelang unbehelligt in seiner Heimatstadt. Erst als der Druck zu groß wurde, flüchtete er nach Südamerika.

Papst Pius XII., der schon wegen seiner Kritiklosigkeit gegenüber dem NS-Regime eher unangenehm auffiel, tolerierte auch nach 1945 ein von hohen Würdenträgern des Vatikan ausgehendes schäbiges Spiel. Josef Mengele war einer von Hunderten übelster Nazi-Schergen, die mit Hilfe der katholischen Kirche über die so genannte „Rattenlinie“ flüchten konnten. Wieso der Vatikan in enger Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz abgründigen Massenmördern neue Papiere verschaffte und ihnen bei der Finanzierung ihrer Flucht half, ist kaum nachvollziehbar. Immerhin profitierten von dem kirchlichen Hilfsangebot so illustre Herrschaften wie Adolf Eichmann (Organisator des Holocaust), Franz Stangl (Kommandant der Vernichtungslager Sobibor und Treblinka), Gestapo-Chef Klaus Barbie („Schlächter von Lyon“) oder Franz Rauff (Erfinder der Vergasungswagen).

Evangelische Kirche unterstützte inhaftierte Nazis

Der perfekt organisierte Fluchtweg kam auch dem amerikanischen Geheimdienst wie gelegen. Während in den „Nürnberger Prozessen“ die Ansprüche hoher Moral zelebriert wurden, schickten gleichzeitig US-Geheimdienstler fieberhaft gesuchte Nazis mit kirchlicher Unterstützung über den Teich. Gefragt waren dabei nicht deren Verwicklungen in Hitlers Mordmaschinerie, gefragt waren deren spezielle Kenntnisse. Klaus Barbie zum Beispiel, der als Gestapo-Chef in Lyon (Frankreich) mordete und folterte, landete als Agent bei der CIA.

Zimperlich waren die Amerikaner in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg wirklich nicht – und auch nicht wählerisch. Rund 10.000 zum Teil erheblich belastete Wissenschaftler, schätzen Historiker, starteten in den USA straffrei ein neues Leben. Einer, um den sich das US-Militär ganz besonders bemühte, war Wernher von Braun. Er wurde im Ruckzuck-Verfahren nach Amerika verfrachtet, wohl auch, um ihn dem Zugriff der Briten zu entziehen. Die hätten den Konstrukteur der V2-Raketen, die in London Angst, Schrecken und Tod verbreitet hatten, am liebsten vor Gericht gestellt. Die Amis waren schneller. Wernher von Braun, der den Bau der Flugkörper mit KZ-Häftlingen vorantrieb, wurde amerikanischer Staatsbürger, Chef der NASA und ließ die Saturn-Rakete bauen, die die ersten Menschen auf den Mond beförderte.

Was der Vatikan im großen Stil betrieb, machte die evangelische Kirche im kleineren Maßstab. In Zeiten, in denen die breiten Bevölkerungsschichten vor einer Ruinenlandschaft standen, mit Hunger kämpften und nicht wussten, wie es weitergeht, setzte sich die evangelische Landeskirche Bayern massiv für die in Landsberg inhaftierten Kriegsverbrecher ein. Mit Duldung des wegen seiner Nähe zum Dritten Reich in die Kritik geratenen Landesbischofs Hans Meiser wurde in Nürnberg eigens ein Büro zur Hilfe der Gefangenen eingerichtet. Beschäftigt wurde dort ein Mann, der vorher die Geschäfte von Ernst Kaltenbrunner geführt hatte. Der war Chef der Sicherheitspolizei und ein mordender Schreibtischtäter. Der Internationale Militärgerichtshof verurteilte ihn zum Tod.

Helmut Reister

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