Ski-Opening in den Alpen: Zum Prosten auf die Piste
Einkehrschwung: In der Hochzillertaler Kristallhütte stoßen Münchner und Einheimische auf den Saisonbeginn an. Die AZ-Reportage über heiße Witwen, geile Nüsse und ein bisschen Sport.
Von Anne Kathrin Koophamel
Wie verwaiste Gartenzwerge stehen sie im Schnee. Schwarz mit Neongelb von Head, orange-rot von Atomic, pink-weiß von Fischer. Skier sind an diesem Nikolaussamstag vor der Kristallhütte in Kaltenbach nicht gefragt. Sie lehnen seit den Mittagsstunden an dem Holzgestell. Über die Zillertaler-Pisten schießt kaum eins der Brettl.
Hier droben, im Hochzillertal, beginnt heute die Saison in Kaltenbach, auf Neudeutsch Ski-Opening genannt. Seit dem Vormittag dröhnen die Bässe auf 2147 Metern. DJ Jay C lässt Ibiza-Sound über rustikale Holztische, moderne Schaumstoffsessel und Korbsofas wabern. Zum zünftigen Bergfrühstück perlt das erste Glas Prosecco.
„Die Leute kehren immer früher ein und bleiben dann“, sagt Stefan Eder, Betreiber der Kristallhütte. Ende zwanzig sind die meisten seiner Gäste, ein Großteil aus München und Oberbayern, alle standesgemäß gekleidet: Leuchtende Jacken von Sportalm oder Chiemsee, dazu Schuhe, deren bronzene Schnallen auf dem weißen Lack glänzen.
Auch Alines rosafarbene Jacke ist perfekt auf die blonden Haare abgestimmt. Mit ihren drei Kolleginnen aus Nürnberg sitzt sie am offenen Feuer. „Wir wollten echt Ski fahren, aber nach ’ner Stunde waren wir hier. Und jetzt muss erstmal der Prosecco leer werden“, sagt die 25-Jährige, während die manikürten Finger Adolf das leere Glas entgegen halten.
Der 47-Jährige und sein Freund Jürgen haben die drei Fränkinnen eingeladen. „Die Frauen sind total entspannt“, sagt Adolf und zupft seinen Norwegerpulli in Form. „Da bleibt man doch gerne eine Weile länger.“
"Das war ja nicht geplant, dass wir hier versacken"
Anbandeln, das hat schon fast Tradition beim Ski-Opening. Der Alkohol fließt und die Anmachsprüche kommen wie von selbst. „Wir wurden schnell angesprochen“, sagt auch Aline und fläzt sich noch tiefer in die karierten Kissen. „Aber ein bisserl nerven tut’s auch.“ Kollegin Katja ist derweil schon näher zu Adolf aufgerückt, das Sektglas in ihrer Hand schwankt gefährlich. „Nicht mal ein Bussi haben die für die Flasche haben wollen“, sagt sie, „da kann man doch nett sein“.
Und irgendwie müssen ja auch die Kosten für den vergeudeten Skipass reinkommen. „Das war ja nicht geplant, dass wir hier versacken“, sagt Aline. Für knapp 40 Euro hat sie sich einen Tagespass gekauft. Jetzt tut es ihr leid um das Geld. „Aber dafür haben wir jetzt super-geilen Sound. Und etwas länger als geplant relaxen, ist ja auch was.“
Dass sich die Leute bei ihm wohlfühlen, ist das Geheimrezept von Pächter Eder. „Früher wollten alle nur schnell was essen. Heute genießt man eben.“ Ofenkartoffel mit Lachs zum Beispiel, dazu ein Glaserl Weißwein. Die meisten können zwar nach einem Glas noch fahren. Doch die Skiunfälle durch Alkohol steigen seit Jahren drastisch an. Selbstüberschätzung, Tunnelblick, langsames Reaktionsvermögen – dann kracht’s.
Die Abfahrt ist für Sonja noch weit weg. Sie denkt lieber an „Geile Nüsse“ – ein klarer Schnaps mit einer Haselnuss. „Danach a Heiße Witwe und du spürst, dass du am Leben bist“, sagt die Münchnerin. Sie hat sich nur einen Pass für eine Berg- und Talfahrt gekauft. „Skifahren kann ich im Januar auch. Heut’ wird gefeiert.“ Mit ihrer Freundin Marike ist sie da, die Männer haben sie daheim gelassen.
Schnäpse? Nur zur Verdauung
Zwei echte Skihaserl seien sie. „Beim Opening in Ischgl, da ging’s schon mehr ab. Aber dafür san die Einheimischen hier knackiger“, sagt Sonja, winkt dem Kellner. „Noch ne Geile Nuss.“
Die Klänge von DJ Jay C sind mittlerweile härter geworden, der Mittagstisch ist vorbei und Künstlerin Mia Joy greift jetzt zum Saxophon. „Die Hütte ist special“, sagt die Musikerin zwischen zwei Versatzstücken, die Bedienung trägt gerade das nächste Tablett mit Klaren aus der Küche. An normalen Tagen ist Apfelschorle der Renner, heute der Klare.
„Zum Opening gehört einer einfach dazu“, sagt auch Helmut und greift das Schnapsglas voll Willi. Richtig wegschießen wolle er sich hier nicht, der Schnaps sei nur „zur Verdauung, nach den spitzen Spinatknödeln“.
Auch die Familie aus Rosenheim „gibt sich hier nicht die Oberkante, aber ein wenig Genuss, den gönnen wir uns schon“, wie Mutter Evi sagt. Seit dem Vormittag sind sie eingekehrt, um 13 Uhr schießt der Korken der zweiten Flasche Prosecco über die Bar. „Das Wetter ist heut’ nicht so, da sitzen wir lieber hier“, sagt Vater Jürgen.
Mit der ersten Gondel seien sie hoch gefahren, „dann drei Stunden volles Rohr Skifahren“. Zur Entspannung gab’s dann erstmal ein Weißbier. „Chillen ist wichtig“, meint Evi. Bis auf das eine Jahr, in dem sie sich beim Chillen die Rippe brach. „Da war hier Champagnerverkostung und ich bin mit den Skischuhen ausgerutscht. Noch vor dem ersten Glaserl.“
Auf solche Missgeschicke wollen es Stefan und Sabine gar nicht erst ankommen lassen. „Ein Bierchen geht schon. Aber wir sind doch zum Skifahren da“, sagt die Schwabingerin. Die Ibiza-Musik dringt nur leise durch die Holztür auf die Terrasse. Das Paar liegt unter Decken und Fellen, die letzten Sonnenstrahlen verströmen keine Wärme mehr.
Dem zwölfjährigen Maxi ist das egal. Trotz dem viel gelobten Kaiserschmarrn, den es auf der Kristallhütte gibt, ist er zappelig. „Den zieht’s naus, kann ich ja auch verstehen“, sagt Vater Ewald und nimmt der Bedienung den klaren Brand ab. „Aber Skifahren ohne Hütte, das gibt’s heute bei uns nimmer. Und mit dem Alter wird das Hüttenleben immer interessanter“, sagt er und lacht. „Prost!“ Maxi muss sich noch ein paar Minuten gedulden.
Weniger in Eile sind die Einheimischen aus Kaltenbach. Auch sie sind heute zum Mittagessen eingekehrt, die Flasche Weißwein geht aufs Haus, man kennt sich. „Die Münchner hier san schon a bissl Schickimicki“, sagt Lois, „aber wirklich nett“.
Zwar würden die meisten mehr kippen als die Zillertaler, „aber ich geh’ ja auch auf’s Oktoberfest. Dann dürfen die hier auch feiern“. Der Wein sei bei ihm eine Ausnahme während des Skifahrens.
Trotzdem wird die Clique am Abend mit als letzte die Kristallhütte verlassen. Die Piste ist schummrig, Schneeraupen schieben sich über den Berg, aus dem Tal dröhnt DJ Ötzis „Ein Stern“, die Après-Ski-Bars füllen sich. Auch Stefan Eder macht sich jetzt auf ins Tal, ins „Bawa“, seinen Club im Ort. „Da geht’s dann erst richtig zur Sache.“
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