Skandalakte Schliersee: Bayerische Horror-Heime

Die Skandalakte Schliersee zeigt das Ausmaß der Mängel in der Pflege dort. Doch es ist nicht die einzige fragwürdige Einrichtung im Freistaat.
von  Helmut Reister
Die Seniorenresidenz Schliersee ist mittlerweile als Skandalheim bekannt. Pflegemängel hat es dort wohl schon lange gegeben.
Die Seniorenresidenz Schliersee ist mittlerweile als Skandalheim bekannt. Pflegemängel hat es dort wohl schon lange gegeben. © dpa

Miesbach/Eichstätt - Das Landratsamt Miesbach hat der Seniorenresidenz Schliersee die Zulassung entzogen. Ende September war Schluss, doch der Fall ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt.

Wie wurden die pflegebedürftigen Senioren behandelt? Diese Frage steht im Mittelpunkt der Ermittlungen, die unter dem Sammelbegriff "Körperverletzung" laufen und sich auch gegen mehrere ehemalige Mitarbeiter richten. 88 einzelne Fälle schaut sich die Behörde nach Angaben von Oberstaatsanwältin Andrea Mayer an.

Seniorenresidenz Schliersee: 17 ungeklärte Todesfälle

Zu dem Ermittlungskomplex gehören auch noch 17 Todesfälle mit unklarer Ursache. Zu Details will sich die Sprecherin der Staatsanwaltschaft aufgrund des laufenden Verfahrens nicht äußern, aber sie bestätigt, dass im Rahmen dieser Ermittlungen zwei Leichen ehemaliger Bewohner der Seniorenresidenz Schliersee exhumiert wurden.

Mit den Vorgängen in dem Heim beschäftige sich am Dienstag auch der Aussschuss Gesundheit und Pflege des Bayerischen Landtags. Dort wurde zur Kenntnis genommen, dass der Betreiber des geschlossenen Heims, ein italienisches Unternehmen, gegen die amtlich verordnete Schließung mit juristischen Mitteln vorgeht. War wohl alles nur halb so schlimm?

Verwahrlost, unterernährt und mit Tabletten vollgepumpt

Zu den Unterlagen, die den Mitgliedern des Aussschusses für die Sitzung ausgehändigt wurden, gehörte auch eine chronologische Auflistung aller bekanntgewordenen Beschwerden, welche Behörden eingebunden beziehungsweise informiert waren und was getan wurde. Hunderte einzelne Einträge sind es, in denen es um verwahrloste, unterernährte und mit Psychopharmaka vollgepumpte Senioren geht, um fehlende ärztliche Versorgung der Bewohner, um Mobbing, Diebstahl und ständigen Personalwechsel.

Im Mai 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, hat der Leiter des Miesbacher Gesundheitsamts die Reißleine gezogen und eine Strafanzeige erstattet. Erst danach, das ist der Chronologie des Gesundheitsministeriums zu entnehmen, wurde das gesamte Ausmaß der Missstände sichtbar. Zur Aufrechterhaltung der Versorgung der Bewohner wurden sogar Bundeswehrsoldaten eingesetzt. Aus der Chronologie ist ferner ersichtlich, dass Beschwerden über Pflegemängel praktisch seit Betriebsaufnahme des Heims im Jahr 2009 an der Tagesordnung waren und im Lauf der Zeit anwuchsen.

Es gibt weitere Ermittlungen gegen ein Heim in der Oberpfalz

Immer wieder waren demzufolge die Behörden eingebunden, seit 2020 auch das Gesundheitsministeriums. Staatsminister Klaus Holetschek (CSU) ist in seinem abschließenden Bericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die eingebundenen Behörden im Fall der Seniorenresidenz Schliersee korrekt gearbeitet hätten.

Zu finden ist in dem 13 Seiten starken "ergänzenden abschließenden Bericht" des Ministers auch eine Passage, aus der hervorgeht, dass die oberbayerische Seniorenresidenz in Seelage nicht das einzige Pflegeheim ist, bei dem eine Schließung durch die Behörden in Erwägung gezogen wird. Etwas verklausuliert heißt es: "Es bestehen in Bayern derzeit mehrere Einrichtungen, die im Zusammenhang mit einer Betriebsuntersagung zu sehen sind."

Auch ein Heim in Burglengenfeld geschlossen

Wie viele es sind, ist der schriftlichen Erklärung von Staatsminister Klaus Holetschek nicht zu entnehmen. Erwähnt wird aber eine Pflegeeinrichtung mit 55 Plätzen im Landkreis Schwandorf. "Zum Zeitpunkt der Anhörung zur Betriebsuntersagung am 5. August 2021 wurden noch 32 Bewohnerinnen und Bewohner in der Einrichtung betreut. In der Einrichtung lagen erhebliche strukturelle, personelle und pflegerische Mängel vor", heißt es im Bericht. Selbst die eingeschalteten Fachbehörden hätten die Missstände nicht mehr in den Griff bekommen. Der unausweichlichen Schließung Ende September stimmte der Betreiber zu. Nach AZ-Informationen handelt es sich dabei um ein Heim in Burglengenfeld.

Wie die "erheblichen Mängel" konkret aussahen, wird in dem ministeriellen Bericht nicht dargestellt. Ein Anhaltspunkt dafür, dass sie massiv gewesen sein müssen, kommt von der Staatsanwaltschaft Amberg. Behördensprecher Jürgen Konrad bestätigte, dass Ermittlungen gegen mehrere Personen eingeleitet wurden.


Landkreis Eichstätt: Fahrlässige Tötung von Senioren?

Eine auffällige Häufung von Todesfällen im Zusammenhang mit einem Corona-Ausbruch in einem Pflegeheim im Landkreis Eichstätt hat Kripo und Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. Ermittelt werde wegen eines Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung in sechs Fällen, teilte das Polizeipräsidium Oberbayern Nord in Ingolstadt mit.

Mehrere Wohnungen und eine Pflegeeinrichtung - insgesamt sechs Objekte - seien am Mittwoch durchsucht worden. Binnen vier Tagen waren zwischen 20. und 24. September sechs mit dem Coronavirus infizierte Bewohner eines Seniorenheims im Landkreis Eichstätt gestorben. Es handelt sich dabei um das Caritas-Seniorenheim St. Josef in Denkendorf. Vor dem Hintergrund der Pandemielage und der damit einhergehenden Hygienemaßnahmen seien die Kontaktermittlungen und somit die möglichen Übertragungswege einer Infektion von immenser Bedeutung.

Im Zuge dieser Recherchen hätten sich dann Verdachtsmomente ergeben, die ein mögliches Fehlverhalten von Mitarbeitern der Pflegeeinrichtung nicht ausschließen ließen, hieß es von den Ermittlungsbehörden. Es seien nun umfangreiche Beweismittel sichergestellt worden. Die Ermittler der Kriminalpolizei erhoffen sich hierdurch weitere Erkenntnisse, die zur Klärung der Todesumstände beitragen.

Das Heim selbst teilte am Mittwoch zu den Vorgängen mit: "Im Raum steht der Vorwurf, dass drei Mitarbeitende des Seniorenheims an einem Wochenende im Dienst entgegen aller im Haus geltenden Maßnahmen und Anweisungen gegen die Hygieneregeln verstoßen haben." Die Kripo prüfe nun einen Zusammenhang zwischen dem Corona-Ausbruch im September und der Nichteinhaltung der Vorschriften. Der Caritasverband für die Diözese Eichstätt arbeite eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen, um den Sachverhalt aufzuklären. "Zum Geschehen können aus ermittlungstaktischen Gründen keine weiteren Angaben gemacht werden", heißt es noch weiter.

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