Sie wollen verhindern, dass noch eine Mutter ihr Baby tötet

Die „Aktion Moses“ ermöglicht anonyme Geburten in Nürnberg. 60 Frauen aus der Region haben sich schon für dieses Hilfsangebot entscheiden. Das Projekt ist allerdings juristisch umstritten
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Angelika H. aus Weiden wollte ihr Kind nicht – und tötete es.
privat Angelika H. aus Weiden wollte ihr Kind nicht – und tötete es.

Die „Aktion Moses“ ermöglicht anonyme Geburten in Nürnberg. 60 Frauen aus der Region haben sich schon für dieses Hilfsangebot entscheiden. Das Projekt ist allerdings juristisch umstritten

NÜRNBERG/WEIDEN Hätte Angelika H. dieses Angebot gekannt, dann könnte der kleine Gero vielleicht noch leben. Die 25-Jährige aus Weiden wollte das Kind nicht haben, das in ihrem Bauch wuchs. Doch sie trieb nicht ab. Die junge Frau brachte ihr Baby zur Welt. Acht Monate lang kümmerte sie sich um den kleinen Gero, dann brach ihre Welt zusammen. Sie erstickte ihren Sohn. Jetzt sitzt sie in U-Haft und die Ermittler sind auf der Suche nach einem Motiv für die schreckliche Tat.

Dabei haben Frauen wie Angelika H. seit 2001 in der Region die Möglichkeit, ihr Kind im Nürnberger Südklinikum anonym zur Welt zu bringen. Eine Alternative zu den so genannten Babyklappen, die es etwa im Krankenhaus Roth gibt. Dort wurde seit acht Jahren kein einziges Baby abgegeben. Frauen, die anonym gebären möchten, können sich vorab beraten lassen. Die „Aktion Moses“ des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SKF) bietet Hilfe. Ganz anonym: Es wird nur ein zuvor vereinbarten Deckname benutzt.

Etwa vier bis sechs Wochen vor dem Geburtstermin kann sich die Frau beispielsweise im Südklinikum untersuchen lassen, erklärt Victoria Huck, erste Vorsitzende des SKF: „Wenn eine Frau anonym gebären möchte, hat sie ja keine Möglichkeit, zum Arzt zu gehen. Denn dann würde sie mit ihrem Mutterpass registriert werden.“ Liegt das Kind richtig? Welche Blutgruppe hat die Mutter? All diese wichtigen Fragen können so geklärt werden, ohne dass die Anonymität aufgehoben wird. Auch im Kreißsaal lassen die Ehrenamtlichen die Frauen – auf Wunsch – nicht alleine.

Für den Ethikrat ist eine anonyme Geburt rechtswidrig

Ist die Mutter gegangen, bleibt das Kind noch einige Tage im Krankenhaus. Dann wird es vom SKF an eine Pflegefamilie übergeben. „In Anlehnung an die gesetzliche Frist bei einer klassischen Adoptionsfreigabe hat die Mutter dann acht Wochen Zeit, sich doch noch zu ihrem Baby zu bekennen“, erklärt SKF-Geschäftsführerin Corinna Schuster.

Die anonyme Geburt findet in einer juristischen Grauzone statt. Denn mit dem Hilfsangebot nimmt das Südklinikum einen Verstoß gegen das Melderecht in Kauf. Hebammen sind gesetzlich verpflichtet, den Namen der Mutter zu melden. In Absprache mit dem Rechtsamt verzichtet die Stadt jedoch darauf, die Ordnungswidrigkeit in diesem Zusammenhang zu verfolgen.

Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) forderte vor kurzem ein Recht auf geheime Geburt. Schwangere sollen ihr Kind „vertraulich“ zur Welt bringen und zur Adoption freigeben können. So kann das Kind mit 16 Jahre erfahren, wer seine Mutter ist. Auch die anonyme Geburt will Merk legalisieren – aber nur in extremen Ausnahmefällen.

Der nationale Ethikrat hält eine anonyme Abgabe von Findelkindern dagegen für rechtswidrig: Kinder hätten einen Rechtsanspruch auf die Kenntnis ihrer Herkunft und auf Beziehung zu den Eltern.

„Wir möchten niemanden dazu animieren, anonym zu gebären“, betont SKF-Vize Christine Körber. „Aber bevor eine Frau ihr Kind auf einer Toilette zur Welt bringt und einfach aussetzt, ist das die menschlichere Variante – für Mutter und Kind.“

Seit 2001 haben in der Region etwa 60 Frauen die Möglichkeit der anonymen Geburt genutzt. Knapp die Hälfte davon wollte auch weiter anonym bleiben. Die andere Hälfte nahm das Baby entweder an – oder entschied sich dafür, die Geburt nachträglich zu legalisieren. So kann das Kind später erfahren, wer seine Mutter ist.

Für Angelika H. und ihren kleinen Gero wäre das eine Chance gewesen. Vielleicht erzählt sie ja den Ermittlern, warum sie sich nicht hat helfen lassen. kes/mir

Aktion Moses, Hotline: Tel.0800/ 2220002 (gratis, 24 Stunden besetzt). SKF-Spendenkonto: Liga-Bank Nürnberg, BLZ 75090300, Konto 405121752

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.