Sicherheitswahn legt bayerische Bahn lahm

Experten von Bayerns Eisenbahngesellschaft werfen ihrer Mutter "groteske" Vorschriften vor - Betrieb unmöglich.
von  Ralf Müller
In Reichertshofen verkehrte mal die Staudenbahn - die alte Haltestelle verfällt.
In Reichertshofen verkehrte mal die Staudenbahn - die alte Haltestelle verfällt. © imago images/Michael Eichhammer

Bei dem Bemühen, schneller und wirtschaftlicher zu werden, steht sich die Deutsche Bahn (DB) oft selbst im Weg. Zu diesem Ergebnis kommt ein Beitrag in der Schweizer Fachzeitschrift "Eisenbahn-Revue International", der in deutschen Bahn-Kreisen für Aufsehen gesorgt hat. In dem Aufsatz "Reduziert die Richtlinien-Flut!" warnen die Verfasser davor, dass die Bahn "unbezahlbar" wird.

Bahn wird "unbezahlbar"

Bei den Autoren handelt es sich nicht um irgendwelche Bahn-Liebhaber, sondern um den Geschäftsführer der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) Thomas Prechtl und den ehemaligen BEG-Abteilungsleiter Andreas Schulz. Die BEG ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des Freistaats Bayern, die seit 1996 den Schienenpersonennahverkehr in Bayern plant. Heute bestellt die BEG pro Jahr etwa 130 Millionen Zugkilometer.

Deutsche Bahn zurück im alten Trott

Mit vielen Beispielen belegen Prechtl und Schulz die These, dass die Deutsche Bahn nach einer Zwischenphase, in der tatsächlich "alte Zöpfe abgeschnitten" wurden, in den vergangenen Jahren wieder in den alten Trott verfallen sei. Einer der Gründe dafür, dass die Betriebsqualität "auf einen historischen Tiefststand" gefallen sei, ist nach Ansicht der Bahner "die gewaltig gestiegene Flut an neuen Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien".

Staatliche Stellen, Infrastrukturbetreiber und die Bahn selbst hätten zum Teil "groteske" Vorschriften erlassen, um Züge von A nach B zu bewegen. Schon deren schiere Zahl sei so groß, dass es "fast übermenschlicher Fähigkeiten" bedürfe, um sie zu überblicken.

Groteske Regeln: Gehen auf Rolltreppe verboten

Als "besonders grotesk" wird eine DIN-Richtlinie bewertet, die im Grunde das Gehen auf Rolltreppen ebenso wie die Mitnahme von Kinderwagen und Fahrrädern untersagt. Würden sich alle daran halten, würden vor den wenigen Aufzügen lange Schlangen entstehen und reihenweise Züge versäumt, so die Autoren.

Nicht verstehen können Prechtl und Schulz die Ungleichbehandlung von Bahnen und Bussen. Während auch ganz einfache Bahn-Haltepunkte beleuchtet sein müssen, können Busfahrgäste am unbeleuchteten Straßenrand auf das Fahrzeug warten. Neue Schallschutz-Verordnungen hätten sogar die Reaktivierung des Nürnberger Nordrings verhindert. In der Folge verkehrten Busse viel dichter an der Bebauung. Doch für Busse gelten diese Schallschutzvorgaben nicht.

Sicherheit vor Verhältnismäßigkeit

Dem leidigen Thema Bahnübergänge widmen sich die Autoren ebenfalls. Die Schrankenschließzeiten seien inzwischen so lang, dass die Verkehrsteilnehmer eine Störung vermuteten und den Übergang neben den geschlossenen Schranken passierten. Während außerhalb Deutschlands bei höhengleichen Bahnsteigzugängen über Gleise mit Zugdurchfahrten eine einfache Fußgänger-Ampel genüge, sei für deutsche Bahnhöfe ohne Sicherungspersonal ein "höhenfreier Zugang" vorgeschrieben. So musste etwa in Furth im Wald ein Fußgängertunnel mit Aufzügen gebaut werden.

Ein besonderer Fall stammt aus dem oberbayerischen Penzberg. Damit Züge dort wenden können, musste eine Weiche eingebaut werden, die betrieblich nie benötigt wird. Diese Weiche erst macht aus dem Haltepunkt formal einen Bahnhof.

Ein Teil der neuen Richtlinien habe durchaus ihre Berechtigung, räumen die Bahner ein. Andererseits aber stelle sich die Frage der Verhältnismäßigkeit: "Wie viel Unpünktlichkeit und Kosten können für mehr Sicherheit akzeptiert werden?".

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