Sex-Tourismus: Letzte Ausfahrt Babylon
Seit Jahren floriert das Rotlicht-Gewerbe an der tschechischen Grenze, hier suchen Freier aus ganz Bayern Sex zum Schleuderpreis. Nun schockiert ein grausamer Mord die Region
Erika stößt einen kurzen schrillen Pfiff aus und sofort rühren sich die Mädchen. Sie schälen sich aus den ranzigen Sofas, drücken ihre Zigaretten aus, stellen sich in einer Reihe auf. „Wir haben Schwarze, wir haben sogar Zwillinge und junge Mädels, die zum ersten Mal da sind“, erklärt Erika mit dem kalten Stolz einer Metzgerin, die einem Kunden die besten Stücke der Fleischauslage anpreist.
Durch den Raum wummert leise Proleten-Techno von Scooter, zwei finstere Typen zapfen Pils im Schummerlicht der Bar. In einem kleinen Fernsehgerät in der Ecke knistert der Live-Kommentar zu einem Eishockey-Match. Vor dem Haus sah man noch im Augenwinkel einen Mann, der mit einer Axt Holzstücke in kleine Scheite spaltet. Doch hier drinnen hört man nichts mehr von dem Klopfen der Klinge, dem Splittern des Holzes. Dann fragt Puffmutter Erika: „Also, welche nimmst du jetzt?“
Thomas P. hatte sich schnell entschieden, damals am Abend des 7. Mai, hier im Club Mamba. Der Mann mit dem dunkelblonden Schnauzer und den Tattoos am Arm ist mit dem Taxi von Zandt, einem bayerischen Dorf, nach Folmava gefahren, dem kleinen tschechischen Örtchen, wenige Meter hinter der Grenze bei Furth im Wald. Thomas P. nimmt sich ein 19-jähriges Mädchen, eine Slowakin. Zwei Stunden bleiben sie hinter verschlossener Tür in ihrem Zimmer im ersten Stock. Zu spät werden andere Mädchen im Mamba misstrauisch.
Die „Bestie aus dem Bayernwald“ schreiben später die tschechischen Zeitungen über den 44-jährigen Freier. 40 Prozent der Hautoberfläche des Mädchens hat er mit heißem Wasser verbrannt und ihren Intimbereich verstümmelt. Zwei Stunden Folter, einen Tag nach der Tat stirbt das Mädchen im Krankenhaus.
Erika schüttelt nur den Kopf, wenn man sie nach der „Bestie aus dem Bayerischen Wald“ fragt. „Darüber reden wir nicht“, sagt sie. Die Bar-Männer hatten Thomas P. festgehalten, bis ihn die Polizei holte. Nun sitzt er in Pilsen in Haft, ihm drohen 25 Jahre Haft wegen Mord.
Thomas P. war regelmäßig hier, er kannte die Clubs mit den rot blinkenden Herzen, hier kaufte er sich für 35 Euro Sex zum Schleuderpreis – wie so viele Männer aus Regensburg, Cham oder Straubing. Autos mit diesen Kennzeichen parken vor den unzähligen Bordellen.
In all den Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges und der Öffnung des Ostblocks hat sich in Tschechien viel geändert, doch die Grenz-Region zwischen Philippsreut und Waidhaus ist Bayerns schmutziges Hinterland geblieben. Hier florieren nach wie vor Prostitution und Menschenhandel. Das bayerische Aktionsbündis gegen Frauenhandel nennt keine Zahlen, schätzt aber, dass viele der Mädchen zur Prostitution gezwungen werden – mit psychischem Druck oder Gewalt.
„Es gibt wirtschaftliche Kriterien, die den Markt dort regeln. Die Nachfrage ist hoch, entsprechend ist das Angebot“, erklärt Adolf Gallwitz, ein Münchner Kriminalpsychologe, das Geschäftsprinzip im Niemandsland hinter Furth im Wald, wo auch der Club Mamba liegt. Dort sammeln sich mehr als 50 Bordelle mitten in der Einöde. Das Dörfchen Babylon, das schon vor der Invasion des horizontalen Gewerbes so hieß, hat 280 Einwohner und beherbergt zwei Etablissements.
Der Sextourismus habe seine Heimat zu Grunde gerichtet, klagt Bürgermeister Miroslav Pazdera, er selbst sei machtlos. „Früher kamen auch Kurgäste“, erklärt er, „seit Jahren sind es nur Deutsche auf der Suche nach Sex. Das ist ein großes Problem.“
In Tschechien ist Prostitution gesetzlich nicht geregelt, seit acht Jahren wird ohne Ergebnis um ein entsprechendes Gesetz gerungen. In Bayern sind Bordelle in Städten mit weniger als 30000 Einwohnern verboten. Auch das treibt die Freier aus ländlichen Regionen an die tschechische Rotlichtmeile.
Über die kriminellen Organisationen, die das Gewerbe in Babylon kontrollieren, kann Pazdera nur spekulieren. Einiges deute auf die Russenmafia hin. „Wenn sich Leute mit russischem Dialekt nach Immobilien erkundigen, weiß man, was gespielt wird“, sagt er.
Vor einigen Jahren, so erzählt man im Dorf, zündeten die Russen das größte Bordell im Ort an. Als Warnung, weil man angeblich mit der Preispolitik nicht einverstanden war. An selber Stelle steht heute ein neues Freudenhaus.
Drinnen sitzt Jana auf einem Barhocker und nippt Wodka-Apfelsaft, während sich einige Meter entfernt eine Kollegin um eine silberne Stange schwingt. Es ist noch früh am Abend, die Strip-Show hat nur einen Zuschauer, ein Deutscher mit Glatze und Hakennase, Typ Mike Krüger. Dann setzt sich ein Mädchen mit dunklen Haaren und Pony zu ihm. Sie tuschelt mit dem Freier, bald verschwinden beide aufs Zimmer. Die übrigen Mädchen würdigen sie keines Blickes.
„Ich komme hierher zum Arbeiten, alles andere interessiert mich nicht“, sagt Jana, die für ihre angeblichen 28 Jahre verbraucht aussieht. Zwei Jahre habe sie in Dresden gelebt, dort mit einem Tschechen ein Kind bekommen. Der Papa ihres Sohnes sei mittlerweile weg, ihren Kellnerjob habe sie aufgegeben. „Seit drei Monaten arbeite ich im Puff“, sagt sie, und behauptet, ihr blieben 1000 Euro zum Leben. Hat sie nach dem Mord im Club Mamba Angst?
„Das war ein Psychopath, ein Einzelfall“, glaubt sie. Fünfzig Prozent ihrer Kunden würden sie korrekt behandeln. Manche Mädchen hätten nach dem grausamen Mord Angst, aber das sei „Berufsrisiko“. Dann kommt Mike Krüger mit seinem Mädchen, das seine Tochter sein könnte, vom Zimmer zurück, bezahlt an der Bar die Getränke. Jana schaut dann doch etwas interessierter auf das ungleiche Paar und sagt: „Männer kaufen Bier, Männer kaufen Frauen. Das hat hier jede kapiert.“
Reinhard Keck
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