Sex-Skandal um Heimleiter - aber er betreut immer noch Kinder
Grapschen, Schlagen, Demütigen: Schwere Vorwürfe gegen Hanns-Jürgen S. (75), den ehemaligen Leiter des Nürnberger Martin-Luther-Hauses. Unglaublich: Noch heute therapiert er Kinder beim Reiten
NÜRNBERG/ALTDORF Schon 1996 war Diakon Hanns-Jürgen S. (75) ins Zwielicht geraten. Der damalige Leiter des evangelischen Nürnberger Kinderheims Martin-Luther-Haus ließ bei einer Freizeit ein Mädchen in seinem Zelt übernachten. Er wurde daraufhin von der Arbeit mit Kindern an den Schreibtisch versetzt, bis er zwei Jahre später in den Ruhestand ging. Jetzt werden wesentlich heftigere Vorwürfe laut: Eine Ex-Bewohnerin des Heims, mittlerweile 42 Jahre alt, berichtete in den Medien über sexuellen Missbrauch und rohe Gewalt...
In den Siebziger- und Achtzigerjahren sei sie von S. mit Fäusten traktiert, eingesperrt und gedemütigt worden. Zudem habe er sie – und andere Mädchen – unsittlich betatscht, ihnen Zungenküsse gegeben und beim Duschen zugesehen. Unglaublich: Dieser Mann, dem 1996 der damalige Nürnberger Dekan Johannes Friedrich – jetzt Landesbischof – untersagt hatte, weiter mit Kindern zu arbeiten, tut das bis heute!
„St. Martin e.V“. heißt der Verein, in dem S. als Vorstand wirkt und Kindern auf einem Pferdehof in Altdorf Reit-Therapien anbietet. Fotos auf der Website des Vereins zeigen S. umgeben von kleinen Mädchen. Als ob es den Vorfall von 1996 nie gegeben hätte. Besonders pikant: Als Geschäftführer von St. Martin fungiert Gerhard S. – er ist im Vorstand des Martin-Luther-Hauses und kennt den Zelt-Skandal.
"Mal Ohrfeigen ausgeteilt, mehr aber nicht"
Während Gerhard S. am Mittwoch für eine Stellungnahme nicht zu erreichen war, ist Stadtdekan Michael Bammessel „sehr beunruhigt“. Er erfuhr erst durch die AZ von der merkwürdigen Konstellation. Umso merkwürdiger erscheint die Zusammenarbeit der frommen Männer vor der Tatsache, dass Hanns-Jürgen S. die Gewalt-Vorwürfe teilweise einräumt: Es sei schon vorgekommen, „dass ich mal Ohrfeigen ausgeteilt habe, mehr aber nicht“. Als ob das das Normalste der Welt sei.Auch enge Mitarbeiter wie Gerhard S. scheinen mit Erziehungsmethoden dieser Art kein Problem zu haben...
Während Bammessel der Arbeit des Vereins „St. Martin“ auf den Grund gehen will, sehen die Verantwortlichen im Martin-Luther-Haus keine Veranlassung, die gemeinsamen Reitstunden von Ex-Mitarbeiter Hanns-Jürgen S. und Mitarbeiter Gerhard S. zu hinterfragen: „Das ist Privatsache“, so Sprecher Thomas Warnken gegenüber der AZ. Auch gebe es keinen Grund, wegen der Missbrauchsvorwürfe in Kontakt mit dem ehemaligen Heimleiter zu treten.
Es sollten sich erstmal die Missbrauchsopfer selber im Martin-Luther-Haus oder bei der unabhängigen Juristin Doris Berg (Tel. 0911 / 241235) melden.
Steffen Windschall
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