Sex and the Camargue

"Magie und Mythos": In der Städtischen Galerie Erlangen sind die beeindruckenden Fotos vom „Dichter mit der Kamera“ Lucien Clergue zu erleben
von  Abendzeitung
Der alte Mann und die Kunst: Lucien Clergue vor seinem Picasso-Porträt.
Der alte Mann und die Kunst: Lucien Clergue vor seinem Picasso-Porträt. © dpa

Nürnberg - "Magie und Mythos": In der Städtischen Galerie Erlangen sind die beeindruckenden Fotos vom „Dichter mit der Kamera“ Lucien Clergue zu erleben

Jean Cocteau, einer seiner vielen Weltkünstlerfreunde, machte ihn zum „Dichter mit der Kamera“. Ob man angesichts der Fotos von Lucien Clergue, die einem in der Städtischen Galerie Erlangen in beeindruckender Hülle und Fülle entgegenspringen, nicht von einem Maler mit der Kamera sprechen müsste, ist die Frage. „Ich bin Fotograf“, kürzt der 73-Jährige mit dem Weltruhm im AZ-Gespräch solch blumigen Wertschätzungsversuche ab. Stimmt, aber was für einer!

Die Retrospektive „Magie und Mythos“, die nach Wien und Münster den Museumswinkel erreicht (und nach Aussage Clergues dort die beste Figur macht), markiert einen Höhepunkt in der Reihe der Erlanger Foto-Ausstellungen. Der Franzose aus dem südfranzösischen Arles hat sich als Kämpfer für die Fotografie als Kunstform einen Namen gemacht. Als erster Fotograf wurde er 2007 Mitglied in der Akademie der Schönen Künste in Paris, Star-Architekt Frank Gehry baut für 120 Millionen Euro in seinem Heimatort ein internationales Fotozentrum. Das auch als Schatzkiste und Gedächtnis einer Branche gedacht ist , deren Digitalisierung Clergue angesichts der Druckqualitäten und Haltbarkeit skeptisch sieht: Nichts gehe über Cibachrome – aber in Paris gebe es dafür nur noch zwei Drucker.

Pablo Picasso, der Freund und Patenonkel für die Clergue-Tochter wurde und den er 3000 Mal in privaten Situationen ablichtete, ohne dass er das rückblickend als langweilig empfunden hätte, animierte den jungen Mann aus ärmlichen Verhältnissen, bei der Fotografie zu bleiben.

Der sog die Impulse der Kunstszene von Max Ernst bis Picasso auf (auch Mondrians Farbfelder tauchen auf) und erkundete – ganz mediterraner Mensch – seine Umgebung in konzentrischen Kreisen als Wunderland des Treibens und der Triebe. Das kriegsverwundete Arles, Felsengräber, die Wanderbühnen-Romantik mit der Dante-Symbolik und Harlekin-Zitaten, Zigeuner-Lebenslust (Manitas de Plata und José Reyes, später Boss der „Gipsy Kings“, sieht man da), die malerischen Schwarzweiß-Kontraste absterbender und neu aufblühender Sumpf-Mythen, die tief verwurzelte Leidenschaft für Stierkämpfe und Frauensilhouetten.

Sex and the Camargue: Berühmt wurde Clergue schon ab Ende der 60er mit weiblichen Rundungen, die er in allen möglichen Positionen am Meer, Strand und Bäumen platzierte oder die Erotik mittels Jalousie-Schatten in einem Chicagoer Appartement zu Zebra-Akten wandelte. Schaumgeburt im Meer, Versuchung in Adams Garten, Zuflucht in der „Architektur des Mannes“ – Clergue fotografiert in archaischen Grundmustern und behauptet dann auch bei einer Serie von Strandfotos, die Reifenspuren und Plastikmüll als rätselhafte Alien-Abdrücke für die Nachwelt als „Skizzenbuch Gottes“ konservieren: „Ich bin der älteste Fotograf der Welt.“

Jedenfalls einer, wo sich Übersinnliches und Sinnliches lebensdrall überlagern. Nicht nur in den späten doppelt belichteten (und farbigen) Montagen aus religiöser Malerei und räkelnder Weiblichkeit. Ist der Künstler am Ende gläubig? „Wenn wir uns eingestehen, dass dies alles jemand geschaffen hat,“ antwortet er, „sind wir jeden Tag in der Kirche.“ Andreas Radlmaier

Städtische Galerie Erlangen (Luitpoldstr. 47): Lucien Clergue – Magie und Mythos; bis 20. Juli, Di–Fr 11-19 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Katalogbuch: 29,90 Euro

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