Seit 17 Jahren kein Urteil: Frankens längster Prozess

Die gerichtliche Auseinandersetzung um einen Bebauungsplan dauert sogar schon 35 Jahre. Immer noch kein Ende in Sicht. Es geht um Millionen.
WÜRZBURG 17 Jahre und kein Urteil: Das Landgericht Würzburg lässt einen verzweifelten Bauern seit 1992 vergeblich auf die Entscheidung über seine Millionenklage warten. Einschließlich früherer Verfahren dauert der Rechtsstreit seit 35 Jahren an. Wegen „überlanger Verfahrensdauer“ verdonnerte der Europäische Gerichtshof die Bundesrepublik im Jahr 2006 zu 8800 Euro Zahlung an den Kläger Ernst Schmidt aus Marktbreit – getan hat sich seitdem nichts. Die Würzburger Richter haben damit einen Negativrekord aufgestellt – den längste Verfahren in der Geschichte der Bundesrepublik.
Kläger Schmidt ist Anfang des Jahres hochbetagt gestorben. Das Verfahren wird in zweiter Generation von seinem Sohn Hermann weitergeführt. „Es heißt immer: Das ist ein schwebendes Verfahren“, sagt Schmidt. „Ich frage mich, wie lange ein Verfahren eigentlich schweben kann.“
Der Marathonstreit begann 1974: Die heute zu Marktbreit gehörende Gemeinde Gnodstadt wies ein Baugebiet neben dem Hof der Familie aus und engte damit den Betrieb ein. Schmidt senior klagte gegen den Bebauungsplan. „Die Zeitzeugen werden immer weniger“, seufzt Marktbreits Bürgermeister Erich Hegwein (CSU). „Die sind inzwischen über achtzig.“
„Die Richter wechseln dauernd, die Akten sind inzwischen meterdick“
Verantwortlich für den Bebauungsplan war der damalige Bürgermeister. Es gibt ungeklärte Vorwürfe der Kungelei. Die Familie des Bürgermeisters besaß im neuen Baugebiet ein Grundstück. Und der Ex-Bürgermeister war selbst als Rechtspfleger am Landgericht Würzburg tätig. Schmidts Vater hatte zunächst Erfolg: 1981 wurde der Bebauungsplan für nichtig erklärt.
In der Zwischenzeit waren aber schon Häuser gebaut worden, die nicht mehr abgerissen werden konnten. Schmidt klagte auf Schadenersatz. Das Oberlandesgericht Bamberg gab ihm 1985 Recht - legte aber nicht die Höhe fest. Seitdem wird gestritten, wie viel Geld der Bauersfamilie eigentlich zusteht. Die aktuelle Klage datiert aus dem Jahr 1992 und befindet sich immer noch in erster Instanz. „Die Richter wechseln dauernd, die Akten sind inzwischen meterdick“, berichtet Manfred Mohr, Rechtsanwalt der Familie. „Keiner will sich da einarbeiten.“ 2003 reichte Mohr wegen der langen Verfahrensdauer Klage gegen die Bundesrepublik beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein.
Die Europa-Richter ordneten 2006 einen Vergleich an. Der Landwirt erhielt 8800 Euro – doch die Urteilsfindung wurde nicht beschleunigt. Im Laufe der 17 Jahre sind acht Gutachten eingeholt worden – die Schätzungen der Experten reichten von Schadenshöhe null bis zu zwei Millionen Mark.
Ein Urteil ist noch in weiter Ferne
Bauer Schmidt und die Gemeinde halten sich gegenseitig vor, den Prozess hinauszuzögern. Die Gemeinde argumentiert, dass Vater Schmidt bereits vor Erlass des Bebauungsplans einen anderen Hof in Südfrankreich kaufte und den Hof in Gnodstadt gar nicht mehr ernsthaft bewirtschaftete.
Sicher ist eins: Falls das Landgericht Würzburg jemals ein Urteil fällen sollte, werden die Zinsen für die vergangenen drei Jahrzehnte aller Wahrscheinlichkeit nach die Entschädigungssumme übersteigen.
„Der Kläger kann sich jetzt schon die Hände reiben“, sagt ein Münchner Jurist. „Das rauscht dann so richtig rein.“ Doch ein Urteil ist in weiter Ferne. „Das wird uns wohl noch ein paar Jahre beschäftigen“, prophezeit Bürgermeister Hegwein. Das Landgericht Würzburg brütet derweil über einem neuen Gutachten.
Carsten Hoefer