Sein Sohn packt aus!

Daniel L. (22) erzählt exklusiv, welchen Albtraum er persönlich erlebte, als Triebtäter Bernhard S. nach Jahren in der Psychiatrie wieder Frauen vergewaltigte und eine Woche lang auf der Flucht war
von  Timo Lokoschat
Daniel L. ist der Sohn des Vergewaltigers Bernhard S. (kl. Foto). Er möchte nicht erkannt werden.
Daniel L. ist der Sohn des Vergewaltigers Bernhard S. (kl. Foto). Er möchte nicht erkannt werden. © Loeper, bayernpress.com

Daniel L. (22) erzählt exklusiv, welchen Albtraum er persönlich erlebte, als Triebtäter Bernhard S. nach Jahren in der Psychiatrie wieder Frauen vergewaltigte und eine Woche lang auf der Flucht war

NÜRNBERG
Drei Mal platzt dieses Interview. Daniel L. (22) sagt per E-Mail ab. „Es tut mir leid.” Seine Freundin hat es ihm verboten. Sie will nicht als die Freundin des Sohnes von Bernhard S. gelten. Jenes Mannes aus Nürnberg, der vor ein paar Monaten ganz Deutschland in Atem hielt.

Der Sexualstraftäter ist damals nach acht Jahren Gefängnis und Psychiatrie nicht lange in Freiheit, als er wieder zuschlägt. Er flieht, von Nürnberg nach Flensburg und zurück, hat dabei eine Frau 22 Stunden in seiner Gewalt (siehe AZ-Printausgabe am 23.2). Nach einer Woche schnappt ihn die Polizei im thüringischen Gotha.

Erst als wir Daniel L. versprechen, ihn nur von hinten zu fotografieren, ihm insgesamt 37 Mails schreiben, darin seine vielen Fragen beantworten, ist er bereit für das Gespräch.
Treffpunkt: am Nürnberger Stadtpark. Er kommt. Und überrascht uns. Ein junger Mann mit blauen Augen und blonden Haaren, der viel lacht, gut aussieht, bescheiden und sympathisch wirkt. Und viel von sich erzählt. Zum Beispiel, dass er gerne Fahrrad fährt, Hiphop-Musik hört und am Wochenende dem Club die Daumen drückt. Klingt nach einem ganz normalen Jungen. Wäre da nicht die Sache mit dem Vater, die ihn beschäftigt. So sehr, dass er darüber sprechen möchte.

AZ: Daniel, das muss ein Albtraum sein: Man schlägt die Zeitung auf und sieht plötzlich, dass der eigene Vater eine Frau vergewaltigt hat und auf der Flucht ist.

Das war ein Schock! Erstmal habe ich es gar nicht gesehen, sondern meine Freundin. Sie kam nach Hause und fragte aufgeregt: Hast du schon in die Zeitung gelesen? Ich hab’ gesagt: Nee, was ist denn los? Dann meinte sie: Da ist dein Vater drin, mit Foto! Als ich das sah, war meine erste Reaktion: Nein, das ist nicht mein Vater! Er sah auf dem Bild auch ganz anders aus, viel korpulenter. Ich habe ihn nicht wiedererkannt. Aber dann stand da der Name. Und dann wusste ich: Er ist es.

„Sex-Bestie” stand da, „Sex-Monster”
und tickende Zeitbombe. Was war das für ein Gefühl, diese Worte über ihn zu lesen?

Brutal. Diesen Schmerz kann man gar nicht beschreiben.

Wann hatten Sie ihn zuletzt gesehen?

Ungefähr vier Wochen davor. Da hatte ich meine erste eigene Wohnung bezogen. Und er hat mir geholfen, Möbel zu besorgen und so weiter. Handwerklich hat mein Vater eigentlich nie viel draufgehabt. Aber dieses Mal hat er geschuftet wie noch nie. Spüle, Dunstabzugshaube – das hat er alles eingebaut, von morgens bis abends. Er war richtig nett. Da denkt man natürlich nicht, dass dann so etwas kommt.

Erst fiel er eine 20-Jährige in Nürnberg an...

Als ich das im Videotext gelesen habe, saß ich eine Stunde zu Hause, völlig geschockt, habe nichts gesagt und mich nicht bewegen können.

Ihre Freundin ist ebenfalls 20.

Ja, und das Schlimme ist, dass er so oft alleine mit ihr war. Ich war auf der Arbeit, meine Freundin hatte frei und hat mit ihm meine neue Wohnung gestrichen und Möbel besorgt. Er hat sie auch von zu Hause abgeholt und abends heim gefahren.

Ist dabei etwas vorgefallen?

Das habe ich sie auch sofort gefragt: Bitte, Schatz, sag’ mir, ob da irgendwas war! Sie meinte aber: Nix, nie, keine Andeutungen, keine Versuche, keine Blicke. Trotzdem hat sie dann erst einmal eine halbe Stunde geweint.

Ihr Vater war eine Woche auf der Flucht. Zum Schluss hatte er eine weitere junge Frau in seiner Gewalt.

Das war schrecklich! Jeden Tag, wenn ich aufgewacht bin in der Früh, wusste ich, dass wieder irgendetwas in der Zeitung steht, dass irgendwas passiert ist. Jeden Morgen habe ich gebangt, ob er anderen oder sich selbst etwas angetan hat. Die Polizei hat mir nichts sagen können. 

"Er war einfach noch nicht bereit für ein normales Leben" 


Angenommen, er hätte sich bei Ihnen gemeldet und Sie angefleht: Daniel, bitte hilf mir! Wie hätten Sie reagiert?


Zuerst wäre ich wohl ausgerastet, hätte ihn gefragt, was der ganze Scheiß soll. Ich weiß nicht wirklich, was ich gemacht hätte. Aber ich glaube, ich hätte mit ihm einen Ort ausgemacht, an dem wir uns heimlich getroffen und darüber geredet hätten, was los ist. Bei der Flucht geholfen hätte ich ihm nicht. Wahrscheinlich hätte ich versucht, ihn zu überreden, dass er sich stellt.

Das hat er nicht getan: Ihr Vater wurde erst in Thüringen von der Polizei gefasst. Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie davon erfuhren?

Ich habe es im Videotext gelesen, abends, so gegen 19, 20 Uhr. „Sex-Täter in Gotha gefasst” stand da – oder so ähnlich. Ich bin vor Freude vom Sofa aufgesprungen. Ich war auch erleichtert, dass er sich selber nichts angetan hatte. Ich habe dann erstmal bei der Polizei angerufen, ob alles stimmt. Die haben es mir kurz bestätigt.

Wie fühlten Sie sich danach?

Die ersten zwei Stunden haben meine Freundin und ich uns nur im Arm gehalten. Für sie war es schlimm. Auch weil sie eines seiner Opfer hätte werden können. Außerdem wusste ja niemand, wo er sich aufhält. Als er noch auf der Flucht war, mussten wir immer, wenn wir in die Wohnung wollten, jemanden am Telefon haben. Die Polizei hielt es für möglich, dass er in der Wohnung sitzt oder im Flur wartet. Nicht, um uns etwas anzutun. Sondern um sich zu verstecken.

Ihr Vater wird voraussichtlich sein Leben lang im Gefängnis bleiben. Finden Sie diese Strafe gerecht?

Ja. Mein Vater hat das Leben der jungen Frauen zerstört, eine kann nicht mehr arbeiten, nie mehr. Ich hätte es besser gefunden, wenn er gar nicht erst rausgekommen wäre aus der Psychiatrie. Er hatte dort eigentlich alles. Zimmer, Fernseher, durfte sogar täglich raus. Er war einfach noch nicht bereit für ein normales Leben. Hätte man ihn dort behalten, wäre das für alle Beteiligten besser gewesen. Vor allem für die Opfer, aber auch für ihn selber.

Was für einen Eindruck machte er damals in der Psychiatrie?

Einen guten und stabilen. Die Ärzte haben mir erzählt, dass er alle Therapien mitmacht. Er hat mir immer gesagt, dass er nie mehr so sein will und wird. Dass er so etwas nie wieder jemandem antut.

Hat er nach der Entlassung seine Taten geplant?


Schwer zu sagen. Aber ich glaube schon. Dafür spricht, dass er von Anfang an keine Miete bezahlt, sich keine Klamotten oder Möbel gekauft hat, was ich verdächtig finde. Als ob er damit gerechnet hätte, ohnehin nicht lange in Freiheit zu bleiben.

Hatten Sie schon einmal den Wunsch, nicht der Sohn von Bernhard S. zu sein?


Eigentlich nie. Er ist mein Vater. Ich liebe ihn – trotz allem.

Interview: Timo Lokoschat

Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie in der morgigen AZ.

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