Sei kein Frosch, küss den Prinz!

NÜRNBERG - Zauber mit Soundtrack: Goyo Monteros Ballett „Dornröschen“ im Opernhaus bejubelt
Am Erfolg dieser Nürnberger Ballett-Produktion gab es schon vor ihrem ersten Schrittwechsel keinen Zweifel: Goyo Montero hat seit dem „Romeo und Julia“-Spektakel das Opernhaus-Publikum auf seiner Seite, rief mit Tschaikowskis „Dornröschen“ ein Traumgirl aller Wachküsser zur Nachfolge auf und kann das in einer Choreografie zeigen, die schon zwei Bewährungsproben und eine Auszeichnung hinter sich hat. Mit aufgestockter Compagnie gelingt das imponierende, wenn auch fragwürdige Kunststück, ein Original umzukrempeln und gleichzeitig werktreuherzig zu respektieren. Und: So derb wie das Philharmonische Orchester unter Philipp Pointner die mächtig nach Soundtrack-Getöse klingende Musik plakatiert, wird nicht getanzt.
Wer die Brüder Grimm oder Walt Disney für die lieben Kleinen im Sinn hat, der sollte die Geschichte vom kombinierten Schläfer- und Schäferstündchen vorher nochmal lesen. Goyo Montero erzählt sie von hinten und legt Psycho-Schattierungen über die Rückblende, was den roten Faden gelegentlich verschwinden lässt. Macht aber nichts, denn die Ästhetik der Szene (zwei Bühnen-, zwei Kostüm- und zwei Lichtdesigner im Einsatz) nascht lieber an den Rätseln von Batman und Harry Potter. Da weiß die Zielgruppe bestens Bescheid.
Verschärfter Grusel nach Kino-Rezept im Kampf zwischen Gut und Böse
Die Nummern-Revue für Prototypen, die Tschaikowskis Ballett nun mal ist, mag Goyo Montero nicht radikal durchbrechen. Er hat das ausufernde Original stark gekürzt, die Titelheldin und ihren Herz-Buben (Tamara Michalczyk und den in ein Ganzkörperkondom umsteigenden Iván Gil Ortega) vom Pathos befreit, jedoch allen Zauber samt Hokuspokus bewahrt. Der böse Magier (Saúl Vega trägt schwarz, springt hoch und räumt ab) neben der guten Fee (Denise Churchward ganz in weiß) und fürs Blaue sorgt ein Vogel-Duo, das Sayaka Kado und Hirotaka Seki gefühlvoll übers sportliche Flattern hinaustragen.
Das gelingt der (in Italien als Höhepunkt eines ganzen Tanz-Jahres preisgekrönten) Choreographie nicht immer. Montero ist vor allem um Tempo und Vielfalt bemüht, er will zeigen, was ihm alles selbst ein- oder anderswo aufgefallen ist, und vernachlässigt überm Show-Potpourri die Poesie. So schuf er wunderbare Momente von abtastender Körpersprache, aber noch mehr Effekthascherei, wo sich nach Schattenspielen die hochmotivierte und technisch gut aufgestellte Compagnie im Bockspringen verläuft oder mal sieben Mini-Trampoline nur deshalb auf die Bühne geholt werden, damit kurz drauf gehüpft werden kann.
Verschärfter Grusel nach Kino-Rezept im Kampf zwischen Gut und Böse, ehe der Reanimierungs-Pas de deux, der ein wenig wie aus dem Kamasutra-Anhang wirkt, die Erlösung bringt. Da verwertet Dornröschen, nachdem sie ihrem Verehrer kurz vorher noch eine scheuerte, allerneueste Kino-Weisheit: Sei kein Frosch, küss den Prinz!
Aus dem Orchestergraben klingt dazu begleitetes Tuba-Tröten wie ein Schrittmacher-Angebot für Elefanten-Patrouillen. Dass es Philipp Pointner und die Philharmoniker eleganter können, weiß man von anderen Abenden.
Es wurde gejubelt, es wird viele ausverkaufte Vorstellungen geben – aber mit den letzten Produktionen hatte Goyo Montero viel mehr versprochen als er mit dieser halten kann.
Dieter Stoll
Nächste Termine im Opernhaus: 15./19./26./28./30.12. - Karten Tel. 0180-5-231600.